Kolonialismus und Kolonialität
Wie geht das Humboldt Forum mit kolonialen Sammlungen um?
Es gibt viele Diskussionen rund um das Humboldt Forum. Eine zentrale davon betrifft die Objekte der ethnologischen Sammlungen, die im kommenden Jahr auf den Ausstellungsflächen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum zu sehen sein werden. Wo kommen sie her? Wie und unter welchen Bedingungen sind sie nach Berlin und in die Sammlungen gelangt? Dürfen sie heute noch hier sein? Mit diesen Fragen wird sich das Humboldt Forum in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen.
Kolonialismus und Kolonialität ist ein Kernthema unserer Programmarbeit. Die Auseinandersetzung mit postkolonialen Stimmen und Perspektiven steht hier ebenso im Zentrum wie die Entwicklung einer methodischen Praxis für einen dauerhaften und transparenten Reflexionsprozess über das Fortwirken kolonialer Praktiken. Welche Haltung das Humboldt Forum zum Thema Kolonialismus und Kolonialität einnimmt, was unter diesen Begriffen zu verstehen ist, welche Projekte bereits initiiert sind sowie einen Ausblick auf eine erste Veranstaltungsreihe zu diesem Thema finden Sie auf dieser Seite.
Was kann die Rolle des Humboldt Forums sein, als ein Raum für Ausstellungen, Vermittlung, Forschung und diskursive wie performative Veranstaltungen? Eine neue Definition von Museum? Mehr als ein Museum – und doch auch ein Museum im herkömmlichen Sinne? Was bedeutet das „Forum“ im Namen? Kulturinstitutionen generell müssen sich der Frage stellen, welche Teile der Gesellschaft (noch) keinen entsprechenden Raum bei ihnen haben, um sich angesprochen und repräsentiert zu fühlen. Kulturinstitutionen sind niemals neutral und müssen als Teil von politischen und zivilgesellschaftlichen Aushandlungen verstanden werden.
Privilegien, die in einer Kulturinstitution zu Tage treten, ästhetische Vorstellungen, Vorstellungen von Kunst, aber auch von Zentrum und Peripherie, akademischem Wissen und Alltagswissen sowie Vorstellungen darüber, wie und welche Geschichten als historische Ereignisse und zukünftige Ideale dargestellt werden, spiegeln die Gesellschaft. Gleichzeitig schließen sie Teile der Gesellschaft aus. Eine Kulturinstitution, die sich den Prozessen der Aufarbeitung des Kolonialismus stellt, die Kolonialität der Gegenwart aktiv verändern will, braucht die Zivilgesellschaft. Und die Zivilgesellschaft braucht Kultureinrichtungen als ein Spiegel für zivilgesellschaftliche Transformationen. Wenn die Zivilgesellschaft Kultureinrichtungen wie Museen auffordert, sich zu ändern, ist das ein positives Signal für Veränderung in der Gesellschaft selbst – ein Prozess, den es gemeinsam zu gehen gilt.
„Als ein von der öffentlichen Hand finanziertes gemeinnütziges Projekt steht das Humboldt Forum in der Verantwortung, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und für die Allgemeinheit zu wirken. Wir verstehen unsere Kulturarbeit als soziale Aufgabe, Menschen miteinander zu verbinden und Räume für einen Austausch zu schaffen.
Sei es die Kontroverse um den Wiederaufbau des Berliner Hohenzollern-Schlosses beziehungsweise den Abriss des Palastes der Republik, die gesellschaftspolitisch relevante Debatte um die Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit, die damit eng zusammenhängende Diskussion über museale Sammlungen aus kolonialen Kontexten oder die Forderung nach einer Restitution von Objekten aus eben diesen Sammlungen: Die öffentlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen nehmen unmittelbar Einfluss auf das Humboldt Forum. Und das gilt sowohl für die Herangehensweise als auch für die Inhalte im neuen kulturellen Zentrum in der Mitte Berlins. Wie wirken sich diese öffentlichen Diskurse der jüngsten Zeit nun auf das Humboldt Forum aus?
Die reflexive Beschäftigung mit dem Kolonialismus und seinen Folgen sowie die Problematisierung aktueller Formen des Rassismus auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens sind wichtige Leitthemen für das Programm und Profil des Humboldt Forums. Hierzu gehört insbesondere die kritische Befassung mit der deutschen Kolonialgeschichte und den Auswirkungen kolonialer Praktiken und Bilderpolitiken, Handlungs- und Denkmuster bis in die heutige Zeit.
Wenn das Humboldt Forum ein Ort sein will, in dem unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen und Räume für Debatten geschaffen werden, müssen Stimmen diverser lokaler und globaler Perspektiven einbezogen und transdisziplinäre Zugänge geschaffen werden. Die postkoloniale Debatte, die schon seit vielen Jahren von verschiedenen Akteuren der Zivilgesellschaft vorangetrieben wurde, ist nicht zuletzt auch durch die Debatten um das Humboldt Forum in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Das Humboldt Forum hat sich eine Praxis des Zuhörens und Teilens auf die Fahnen geschrieben – verbunden mit der Hoffnung, zukünftig in kritischer Kompliz*innenschaft gemeinsam neue Debatten- und Handlungsräume zu erschließen.“
„Die Neupräsentationen der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums der Asiatische Kunst gibt Gelegenheit zu vielfältigen Kooperationen mit den Herkunftsländern und Ursprungsgesellschaften. Der multiperspektivische Blick auf die Objekte ist für die Kuratorinnen und Kuratoren immer zentral. Wir übernehmen eine Verantwortung für unsere Sammlungsgeschichte und ihre Einbettung in den Kolonialismus, indem die Wege der Objekte offengelegt werden. Zur Offenheit und Ehrlichkeit gehört auch, dass wir zur Rückgaben von Objekten bereit sind und auch bereits mehrfach Restitutionen auf den Weg gebracht haben. Grundsätzlich gilt: Nicht nur die Museen allein, sondern die ganze Gesellschaft muss und wird die Folgen des Kolonialismus und das jahrzehntelange Beschweigen des Unrechts aufzuarbeiten haben. Wir tun das, in dem wir das Humboldt Forum auch als einen Ort der Verantwortung betrachten. Für die Museen ist die immer weiter wachsende Zahl von Kooperationen mit Partnern in aller Welt von großer Wichtigkeit. Die Welt einzuladen, hier mitzuarbeiten und kuratorische Mitverantwortung zu übernehmen, ist genau die Lehre, die wir aus der Vergangenheit ziehen müssen. Das Humboldt Forum muss ein kontinuierlicher Prozess des Miteinanders sein, nur so kann es die große Chance nutzen, hier über die Kraft der Kultur ein grundlegend neues Verhältnis zum globalen Süden zu entwickeln.“
Mit dem Kernthema Kolonialismus und Kolonialität wird sich das Humboldt Forum mit postkolonialen Perspektiven und Stimmen auseinandersetzen und eine Methodische Praxis entwickeln, die einen transparenten, dauerhaften Reflektionsprozess über die Kontinuität kolonialer Praktiken in unserer Arbeitsweise und unserem Selbstverständnis befördert. Damit sollen dringend notwendige Handlungsfelder und Narrative für Forschung und Kulturpraxen gefördert werden, im Hinblick auf den Umgang mit den Sammlungen wie der Aufarbeitung und Vermittlung einer gegenwärtigen kolonialen Geschichte für die Zivilgesellschaft.
Mit Kolonialität meinen wir all die kolonialen Denk- und Handlungsmuster, die in verschiedenen (Re-)Konfigurationen, kontinuierlich und nachhaltig, die heutigen Realitäten in ehemals kolonisierten und kolonisierenden Gesellschaften strukturieren. Damit wurden Ausbeutung, Gewalt und Genozide an „Anderen“ gerechtfertigt und jener strukturelle Rassismus konsolidiert, der nicht-weiße Menschen auch heute diskriminiert, gar tötet. Das Humboldt Forum verpflichtet sich aus der Kolonialität, die auch den Traditionen und Praktiken von Bildungs- und Kultureinrichtungen wie Museen inhärent ist, auszuscheren. Dies erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Kanon, um binäre Ausschlussmechanismen von Aufklärung und „Moderne“ zu überwinden und marginalisierten oder sogar ausgelöschten Narrativen wieder Raum zu geben. So kann eine Methodische Praxis entstehen, die einerseits eine prozesshafte Auseinandersetzung mit bestehenden lokalen und globalen Machstrukturen ermöglicht und andererseits den kontinuierlichen und kreativen Widerstand gegen oppressive Machtstrukturen würdigt. Das Humboldt Forum möchte dazu beitragen, die Komplexität der kolonialen Geschichte(n) mit ihren Verwicklungen in die Gegenwart und unser aller Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Dem liegt die Idee zugrunde, sich ausschließlich im Zusammenhang mit der Welt zu verstehen und die Fähigkeit zu kultivieren, „Neues“ zu lernen.
Humboldt Lab Dahlem
Das Humboldt Lab Dahlem, 2012 eingerichtet und bis 2015 ausgelegt, war ein Projekt der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Im Sinne einer experimentellen Probebühne diente es zur Vorbereitung insbesondere der Museumsausstellungen im zukünftigen Humboldt Forum. Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es hier.
Pilotprojekt: Tansania–Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?
Im Rahmen des vom Ethnologischen Museum gemeinsam mit Partnerinstitutionen aus Tansania entwickelten Pilotprojekt „Tansania–Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“ wurde ein Rahmenkonzept für die Erforschung der Provenienz problembeladener, insbesondere in der Kolonialzeit gesammelter Bestände entwickelt. Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es hier.
Humboldt Lab Tanzania
In enger Verbindung zum Pilotprojekt „Tansania-Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“ stand das Projekt „Humboldt Lab Tanzania“. Es bildete eine Fortsetzung des Programms Humboldt Lab Dahlem der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das von 2012 bis 2015 Impulse für die Ausstellungsplanungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin im künftigen Humboldt Forum lieferte. Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es hier.
Geteiltes Wissen: Wissenschaftler*innen aus Amazonien im Ethnologischen Museum
Im kollaborativen Langzeitprojekt „Geteiltes Wissen“ arbeitet das Ethnologische Museum mit Partnern aus Brasilien, Kolumbien und Venezuela zusammen. Gemeinsam werden ethnographische Objekte aus dem nordöstlichen und nordwestlichen Amazonastiefland aus der Sammlung des Museums untersucht. Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es hier.
Namibia-Projekt
Im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der Museums Association of Namibia (MAN) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz waren seit Frühjahr 2019 mehrere Forscher aus Namibia zu Gast im Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Gemeinsam mit dem Wissenschaftlerteam des Museums untersuchten sie die rund 1400 Objekte der Namibia-Sammlung des Hauses im Hinblick auf ihre Geschichte, Bedeutung und ihre künstlerischen Potenziale. In dem nun folgenden Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“, das die Gerda Henkel Stiftung ermöglicht hat, werden 23 dieser Objekte nach Namibia reisen, darunter Schmuck, Prestigeobjekte und historisch wichtige Artefakte. Dort sollen sie in den kommenden drei Jahren weiter erforscht werden und zeitgenössischen Künstlern für die kreative Auseinandersetzung zur Verfügung stehen. Erstmals in Deutschland wurde ein solcher ergebnisoffener Prozess der Zusammenarbeit angestoßen, der maßgeblich von den namibischen Partnern bestimmt wird. Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es hier.
Zum angemessenen Umgang mit außereuropäischen Objekten und ihrer Geschichte hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei den Vorbereitungen für das Humboldt Forum eine Grundhaltung entwickelt. Ein wichtiger Bestandteil sind die Einbeziehung sowie der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der „Source Communities“ (Herkunftsgesellschaften) außereuropäischer Objekte. Ihr Wissen soll in die Arbeit mit den Objekten einfließen und so eine Aufarbeitung und Präsentation aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen. Darüber hinaus sollen die Ansprüche der Herkunftsgesellschaften an einen angemessenen Umgang mit den Objekten berücksichtigt werden.
Ausführliche Informationen zum Umgang der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit außereuropäischen Objekten gibt es hier.