Die Renaissance der Tugenden

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Es gleicht einer Herkulesarbeit, die die Bildhauer*innen leisten: Für den Wiederaufbau des Schlosses modellieren, gießen und formen sie Skulpturen und Schmuckelemente; über 3000 Stück sind es. Götterfiguren wie Hermes, Apollo oder Jupiter entstehen hier, aber auch Adler und Löwen, Muscheln und Prunkvasen. Jedes einzelne Element will genau recherchiert und rekonstruiert werden, jedes Detail muss stimmen. Und wenn wie im Fall der Kolossalfiguren Glaube, Liebe, Hoffnung und Gebet die Originale verloren gegangen sind, wird die Arbeit für Bildhauer*innen und Expert*innen umso diffiziler. Nach mehreren Monaten intensiver Arbeit wurden die Standbilder soeben vollendet und werden dieser Tage wieder an ihrem ursprünglichen Ort, dem Eosanderportal, aufgestellt.

 

Obgleich in barockem Gewand, zählten die vier Skulpturen zu den jüngsten Figuren des Berliner Schlosses. Schlossbaumeister Johann Friedrich Eosander von Göthe sah sie 1708 für sein monumentales Hofportal vor. Doch als Friedrich Wilhelm I., der „Soldatenkönig“, das Berliner Schloss wenig später vollenden ließ, sparte er Kuppel und Skulpturen kurzerhand ein – auf dass „die sonst dazu destinirten Gelder zur Tilgung der Landesschulden employret werden“. Erst Ende des 19. Jahrhunderts erhielt das Eosanderportal mit Kuppel und Bauschmuck seinen Abschluss.

 

Vier Tugenden für das Humboldt Forum

Mit ihrer Thematik, den christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung, verweisen die ab 1886 gefertigten Skulpturen auf den Bildschmuck der ehemaligen Schlosskappelle unter der Kuppel. Für die vier Postamente auf dem Hofportal wurden die Allegorien durch eine vierte erweitert: die Statue des Gebets. Sie stellen damit einen besonderen Aspekt des reichen Bildprogramms dar, das thematisch und stilistisch den Anspruch des jeweiligen Herrschers spiegelte. So erklärt sich, dass früh- und hochbarocke Skulpturen aus der Schlüter’schen Werkstatt neben spätklassizistischen und neobarocken Figuren vor den Portalen standen, antikisierende und christliche Skulpturen einen Raum schmückten.

Für die Rekonstruktion der weiblichen, rund 3 Meter hohen Kolossalfiguren hatten die Bildhauer*innen nur Fotos zur Verfügung, denn die originalen Sandsteinfiguren waren nach der Sprengung des Schlosses verloren gegangen. Eine schwierige Aufgabe für die Künstler*innen, die die Dreidimensionalität und Ausformungen der Körper exakt erfassen müssen. Sind die Proportionen stimmig, der Faltenwurf fließend, die Wangenpartie nicht zu ausgeprägt?

Hier half ein Expertengremium: Kunsthistoriker*innen, Architekt*innen und Restaurator*innen berieten sie in jeder Phase der Entstehung. Vom ersten Bozzetto, einem Tonmodell im Maßstab 1 zu 6 oder 1 zu 3, über die Gussform aus Silikon bis hin zum Gipsmodell. Ist dieses erstellt, wird es gescannt und vom Computer in eine 3-D-Simulation umgerechnet. Erst dann beginnt die Arbeit am Stein. Beim Meißeln helfen Roboter, sie fräsen die Form bis auf einen Zentimeter vor. Im traditionellen Punktierverfahren verleihen die Steinbildhauer schließlich den tonnenschweren Figuren ihre Handschrift, arbeiten feinste Details präzise heraus. Nach mehr als 70 Jahren schweben die von Hebebändern und Sicherungsgurten umgebenen Figuren per Kran nun wieder in die Höhe – über die Kapitelle der Säulen des Eosanderportals. Sie haben wieder ihren Ort gefunden.

Die vier Kolossalfiguren konnten dank der großzügigen Spende von Dr. Hubert Burda und seinem Sohn Dr. Jacob Burda rekonstruiert werden. Sie stellen damit einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion der historischen Fassaden des Schlosses dar.