Ein Stab aus Suriname

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In der Videoarbeit halten Sie zum ersten Mal den kunstvoll verzierten Stab Ihrer Vorfahren in den Händen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Kuratorin Andrea Scholz, dem Mauritshuis und dem Ausstellungsteam?

Die Gastkurator*innen und Creative Directors Kel O‘Neill und Eline Jongsma sprachen mich auf den Stab an. Ich hatte an einem Projekt teilgenommen, an dem auch sie beteiligt waren, und so lernten wir uns kennen. Sie wollten eine Geschichte rund um den Stab entwickeln, und so kam es zu unserer Zusammenarbeit.

Können Sie uns etwas zur Bedeutung des Stabes und der kunstvollen Schnitzereien erzählen?

Die Bedeutung des Stabes ist nicht ganz geklärt, aber klar ist, dass er eine Kultur repräsentiert, die im Laufe der Zeit durch äußere Einflüsse untergegangen ist. Die Art und Weise, wie der Stab ohne eigenes Verschulden in den Besitz des Ethnologischen Museums gelangte, zeigt, welche Vorstellung die Menschen über meine Kultur und meine Vorfahren hatten. Sie wurden als Menschen betrachtet, die gerettet werden mussten und nicht in der Lage waren, selbst zu entscheiden, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Man übersah ihre handwerklichen Fähigkeiten, ihre Intelligenz und ihren Platz in der Welt. Der Künstler des Stabes hat vermutlich versucht, die Bedeutung der Frauen in unserer Gesellschaft darzustellen und ihnen zu huldigen. Klar ist, dass es sich um eine Maroon-Frau unserer Gemeinschaft handelt, und zwar aufgrund der Körpermerkmale. In der Vergangenheit trugen viele Frauen diese Zeichen, da sie als Zeichen der Schönheit angesehen wurden. Wir nennen sie „koti, koti“, was soviel wie „Einschnitte“ bedeutet.

Ihr Onkel ist Chief in der Region Wanhatti. Welche Bedeutung hat der Stab für Sie, für Ihre Familie und Ihre Vorfahren?

Einfach ausgedrückt ist es eine Möglichkeit, eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen. Es ist ein Beweis für eine Zeit, von der nicht viele Menschen wissen, geschweige denn sich erinnern. Es ist ein Beweis dafür, dass wir nicht immer in diesem Zustand waren, religiös, politisch, sozial usw. Es gibt hier eine Spur, die in eine andere Zeit führt, und sie stimmt nicht mit den Geschichten überein, die uns erzählt wurden. Sie gibt Hoffnung, dass wir eines Tages fundierte Entscheidungen über unsere Identität und darüber, wer wir sein wollen, treffen können.

Hat die Recherche und Zusammenarbeit an dem Video Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Menschen in Suriname und dem Ethnologischen Museum in Berlin? Wie geht es jetzt weiter?

Das glaube ich nicht, denn nur wenigen Menschen ist der Stab bekannt, auch wenn die Informationen darüber nicht verborgen geblieben sind. Ich denke, dass eine erneute Einführung dieses Artefakts und seiner Thematik passieren muss, um dann voran zu kommen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Einfach gesagt, Zusammenarbeit und Rückgabe. Mein Traum ist es, ein zentrales Zentrum einzurichten, in dem geplünderte, gestohlene und verschleppte Artefakte der Maroons gesammelt und an die entsprechenden Menschen und Orte ihrer Herkunft zurückgegeben werden können. An einem solchen Ort könnten wir zusammenkommen um voneinander zu lernen, zu studieren und aus der Geschichte zu lernen. Dazu gehören auch Forscher*innen, Museen, rechtmäßige Eigentümer, die Diaspora usw. Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie zu beschuldigen, sondern ich hoffe, dass die beteiligten Stellen in den entsprechenden Fällen ihre Verantwortung übernehmen und dazu beitragen, einen Weg für die Zukunft zu finden. Die Vergangenheit kann nicht geändert werden, wir sind nicht unsere Vorfahren, aber wir sind ihre Nachkommen und das bietet Chancen, weil wir jetzt eine andere Perspektive haben.

Autor*in
Foto von Onias Landveld
Onias Landveld

Onias Landveld (Paramaribo, 1985) ist Gründer des Productiehuis Wosu. Wosu kuratiert u. a. Veranstaltungen und fungiert als Infrastruktur für bikulturelle Künstler*innen und deren Geschichten. Onias selbst ist auch im Kunst- und Kulturbereich tätig und hat im Laufe der Jahre verschiedene Ausstellungen und Theaterproduktionen geschaffen. Er unterrichtet Storytelling an der Radboud Universität in Nijmegen und gibt Kurse in Corporate Storytelling, dabei nutzt er seinen Betriebswirtschaftlichen Hintergrund, um die richtige Erzählung zu entwickeln.