Dieser Artikel ist Teil des Features „Das Berliner Schloss 2.0. Beton und Barock

Eine Bühne für die Weltkulturen, mitten in Berlin

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Das Humboldt Forum im Berliner Schloss habe ich als einen Palast entworfen, dessen sechs Portale als Stadttore und dessen drei Innenhöfe als Stadtplätze konzipiert sind – also als eine Stadt in Form eines Palastes. Alt und Neu – mit je eigener, unverkennbarer Formensprache – werden architektonisch durch die Ideen des Palastes und der Piazza harmonisch miteinander verbunden. Vom Palast ist die Architektur des neuen Ostflügels inspiriert; der Piazza sind die vier neuen, innen errichteten Baukörper, verpflichtet.

Der Palast – eigentlich der vierflügelige Palast – war der architektonische Bautyp, zu dem die drei barocken Schlossflügel nach dem ursprünglichen Entwurf des Architekten Andreas Schlüter tendierten. Andererseits war die Piazza – eigentlich die Theater-Piazza – das Vorbild für die Architektur barocker Schlosshöfe, insbesondere des Schlüterhofes.

 

Im Schlüterhof, einst Ort höfischen Zeremoniells, werden künftig vielfältige Veranstaltungen stattfinden. Die Architektur seines neuen Westflügels ist dem Thema des Theaterplatzes ebenso verpflichtet wie seine drei rekonstruierten Flügel. So ist auch die den Hof ergänzende, moderne Fassade vom Motiv der zweigeschossigen steinernen Lauben geprägt, einer nicht realisierten Idee Schlüters folgend.

Der architektonische Idealtyp der Theater- Piazza ist in den Traktaten der Renaissance beschrieben: Ihre Hauptmerkmale sind die Kolonnaden, die Loggien und der Triumphbogen, beziehungsweise das prächtige Portal in Funktion des Stadttors, durch das die Straße auf die Piazza mündet. Dass die Architektur der Piazza zu dieser Zeit mit der des Theaters übereinstimmte, war Folge eines grundsätzlichen Wandels: Nach der Römerzeit hatte man den Theaterbau aufgegeben, sodass die Piazza – neben den Innenräumen von Palästen und Kirchen – zum öffentlichen Ort theatralischer, zeremonieller und feierlicher Aufführungen wurde.

 

Das erste nach den altrömischen Vorgängern gebaute Theater – das von Andrea Palladio 1580 konzipierte Teatro Olimpico in Vicenza – verdeutlicht die unmittelbare Verwandtschaft der Piazza mit dem Theater: Die Bühne ist als eine Piazza gedacht, auf die die Straßen einer Idealstadt münden – durch die offenen Portale einer Bühnenfront in Form eines antiken Triumphbogens.

Im Foyer – das als Empfangs- und Veranstaltungshalle fungiert – ist die Architektur dem Thema der Theater-Piazza zugeordnet, wobei das rekonstruierte Triumphbogen- Portal für die Bühnenfront und die neuen Galerien für die Zuschauerlogen stehen.

Im Schlossforum – die quer durch das Gebäude den Lustgarten mit dem Schlossplatz verbindende Passage – erwecken das Neue in Form des Kolonnadenwegs und das Alte des Triumphportals die Stimmung der antiken Plätze, der griechischen Agora beziehungsweise des römischen Forums. Sie galten als Vorbild für die ideale Piazza der Renaissance. Wie der als Referenz dieser Passage oft zitierte Cortile degli Uffizi in Florenz liegt auch das Schlossforum zugleich inmitten des Gebäudes und inmitten der Stadt.

Innerhalb des neuen Berliner Schlosses befinden sich drei Höfe, alle konzipiert als Theater-Piazze. Zum rekonstruierten Schlüterhof kommen zwei weitere: ein offener und ein überdachter, die beide auf die Portale des ehemaligen Eosanderhofs bezogen sind. Mit ihnen wird zusätzlich beträchtlicher öffentlicher Raum innerhalb des Gebäudes hinzugewonnen – in einem Areal, das nach dem Wettbewerbsprogramm vollständig für die Bebauung zur Verfügung gestanden hätte. Diese neuen zusammen mit den rekonstruierten Höfen ermöglichen es, die Durchgänge und die Hofseiten aller fünf Schlossportale nachzubilden. Sie gewinnen damit ihre wichtige urbane Bedeutung als Stadttore zurück, und werden nicht zu Haustüren degradiert. Um die Idee des Hofes als Piazza zu verwirklichen, hat auch die architektonische Prägung, sowie der Bezug auf die Portale, eine unverzichtbare Bedeutung.

Mit der Rekonstruktion des Schlosses erhalten die das Gebäude umgebenden Stadträume ihren ursprünglichen Maßstab und ihre wichtigste architektonische Einfassung wieder. Die damit zurückgewonnenen Plätze Lustgarten, Schlossplatz, Schlossfreiheit und der neue vor dem Ostflügel entstandene Spreeplatz verbinden sich durch die sechs offenen Portale mit den inneren Höfen zu einem großzügigen öffentlichen Raum im Herzen Berlins. Es ist eine einzigartige Piazza für alle, für die Bürger Berlins sowie für die aus aller Welt kommenden Besucher des Humboldt Forums.

Autor*in
Foto von Franco Stella
Franco Stella

Der Architekt Prof. Franco Stella gewann 2008 den Wettbewerb um den Wiederaufbau des Humboldt Forums im Berliner Schloss. Seit 1990 unterrichtet er an der Universität Genua. Zudem führt er ein Architekturbüro in Vicenza.