Erinnerungen an den Palast der Republik

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Eine zentrale Rolle spielen diese Erinnerungen in der Ausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ (17. Mai 2024 bis 16. Februar 2025) und in der begleitenden Buchpublikation. Eine kleine Auswahl von Interviewausschnitten findet sich in diesem Magazin-Beitrag.

Judith Enders, Besucherin

„Ich erinnere mich noch, wie sie das Innere des Emblems am Palast abgebaut haben, den Hammer und die Sichel, sodass nur noch der Ehrenkranz da hing. Das fand ich damals schon übergriffig. Ich dachte mir: Das arme Gebäude, das hat sich immer so eine Mühe gegeben, nett zu sein. Dies war meine kindliche Wahrnehmung. Dieses Gebäude wollte irgendwas für alle, auch wenn es vielleicht nicht immer geklappt hat. Warum machen sie denn nun gerade dieses zu? Das ist doch unser Palast!

Für mich war es so, als hätten sie eine Bibliothek oder eine Schule geschlossen, so als wenn man ein Krankenhaus oder sonstige öffentliche Gebäude der Daseinsvorsorge abreißt, einfach so. Das war eine Dominanzgeste gegenüber der Identität der Ostdeutschen. Man konnte da eine positive oder auch eine negative Identifikation mit dem Palast gehabt haben, aber in jedem Fall hatte man eine. Den Palast einfach auszulöschen und dem Erdboden gleichzumachen, empfand ich als ziemlich aggressiv.“

 

Annegret Miersch, Reiseleiterin und Dolmetscherin

„Ich hätte ihn nicht abgerissen, aber ich hätte ihn anders erhalten oder Teile anders erhalten. Als er dann so dastand als Gerippe, dann konnte man ihn nur noch abreißen. Und dann habe ich gesagt, besser schneller als nie. Weil, dann war es eine traurige Jammergestalt. Und es war einfach unerträglich, das zu sehen. Das war eine Ruine.“

Jonas Burgert und Holger Nawrocki, Mitinitiatoren der Ausstellung „Fraktale“ IV im Palast der Republik 2005

JB: „Für mich war der Palast der Republik, da ich ja West-Berliner war, immer ein Mysterium. Er war auf der anderen Seite, in Ost-Berlin, und natürlich das Symbol für die Beherrschung der alten Mitte Preußens durch die neue Architektur der DDR. Er hatte immer etwas Zynisches für mein Empfinden, weil er ja für das Volk gebaut sein sollte, und trotzdem das Volk nicht frei entscheiden konnte. Insofern ambivalent. Und ich habe es dann stilistisch und auch symbolisch wahnsinnig gut gefunden, dass er völlig entkernt werden musste und nur ein Gerippe übrigblieb. Das war eigentlich auch der Grund, warum wir überhaupt da reingegangen sind, um zu sagen, jetzt ist es ehrlich.“

HN: „Ich war auch mal in dieser großen Halle als Jugendlicher, in der Schule. Aber das war es dann auch. Da war alles, was ich verabscheut habe oder was mir völlig gegen den Strich gelaufen ist, noch mal symbolisiert. Egal, ob es die Kugellampen waren oder ganz schlimmer Sozialistischer Realismus in der Malerei – einfach eine Grotte. Für mich war es zu Ostzeiten ein klares Symbol der Unterdrückung, und deswegen war ich selten drinnen, und wenn, habe ich versucht, mich da unten zu betrinken.“

Atif Hussein, Besucher im Palast der Republik

„Unser Vater ging mit meiner Schwester und mir hierher. Und dazu muss man sagen, unser Vater war immer sehr begeistert von allem Neuen, und hatte auch das Talent, uns mit zu begeistern. Ich erinnere mich sehr gut, wie er in der Mitte und meine Schwester und ich jeweils an einer Hand diese sehr flache aber weite Freitreppe hochgingen und ich meinen Vater angucke. Und das ist natürlich jetzt eine Übersetzung von heute. Damals hätte ich das nicht so aussprechen können. Aber mein Vater sah so aus, also mit einem Stolz erfüllt, als hätte er dieses Ding selbst gebaut: So, Kinder, und jetzt bringe ich euch mal da rein und zeige euch das, was wir hier Schönes haben.

Mein Vater kommt aus dem Sudan und war sehr intensiv beteiligt an der Transformation des Landes von einer Kolonie zu einem freien Nationalstaat. Und zu diesem neuen Aufbauen gehörte auch die Frage, wie gestalten wir unsere öffentlichen Räume und für wen sind sie zugänglich? Und ich denke, als er dann in den Sechzigerjahren in die DDR kam, hörte das bei ihm nicht auf. Also er kam ja nicht irgendwo hin, wo das alles schon da war, sondern er verstand, dass dieses „wir bauen das auf, wir transformieren“ anhielt. Und insofern war für ihn der Palast der Republik ein Symbol dafür.“

Brigitte Renner, Nicht-Besucherin aus Bautzen

„Berlin war weit weg. Berlin war die Regierung. Berlin waren die Aufmärsche. Berlin waren die Sportfeste. Aber ich persönlich hatte dazu überhaupt keine Verbindung. Und deswegen hat mich das auch gar nie gestört. Man war natürlich manchmal sauer, dass es bestimmte Sachen nur in Berlin gibt, wenn man sich mal einen besonderen Wunsch erfüllen wollte. Aber das ging meistens über das Essen und nicht über die Kultur.

Palast der Republik kannte man vom Hörensagen. Aber wir sind nie auf die Idee gekommen, dass wir dort vielleicht mal hinmüssten. Wenn wir in Berlin waren, das war in der Vorweihnachtszeit am Alexanderplatz in den Exquisit-Läden, um Leckereien, die es bei uns hier im tiefen Osten nicht gab, zu kaufen.“

 

Hans-Peter Tennhardt, Raumakustiker für die Ausstattung des Jugendtreffs, Großen Saals und Plenarsaals

„Er war immer voll, immer voll mit Menschen. Es passierte auch immer was, und wenn irgendwo in einer Ecke jemand Gedichte vorgelesen hat oder es war eine kleine Gruppe, die dort musiziert hat. Dann gab es auch eine ganze Menge an kleinen Läden, wo zum Teil auch zum Beispiel aus dem Erzgebirge Sachen verkauft worden sind, die man sonst nicht bekam. Das konnte man auch mit nutzen. In die großen Restaurants hineinzukommen, da musste man schon ein bisschen entweder Beziehungen haben oder sehr lange warten können. Das war unwahrscheinlich gute Qualität zu einem sehr preisgünstigen Verhältnis. Aber das Gebäude wurde ständig genutzt und wenn nur Touristen durchgegangen sind, um sich das anzugucken, die Blumen anzugucken oder die Gemälde. Es war ja praktisch wie eine Gemäldeausstellung, die so drin war mit den verschiedensten Künstlern. Auch von Leuten, die nicht so unbedingt in das Metier mit reingepasst hätten.“

Ritchie Barton, Keyboarder der Band Silly

„Die konkretesten Erinnerungen diesbezüglich habe ich wirklich, was Silly betrifft. Das hing natürlich zusammen mit dieser Veranstaltungsreihe „Rock für den Frieden“. Und wo wir uns ganz gerne drum rumgedrückt haben, aber nicht, weil wir nicht für Frieden gewesen wären, sondern weil natürlich alles sehr, sehr ideologisch geprägt war. Und wir waren ja eine sehr schwierige Band diesbezüglich mit unserer Tamara, wir haben uns da nicht so gern vereinnahmen lassen, ne? Natürlich konnte man sich nicht gänzlich da raus nehmen, das ging nicht. Oder es hätte Konsequenzen gehabt, die wir auch nicht hätten hinnehmen wollen, also haben wir das uns immer so ein bisschen so gebaut, dass wir nur jedes zweite oder dritte Mal teilnehmen mussten.

Ach die Atmosphäre, die war schon gut. Der Palast war ja sowieso, muss ich sagen, was die Bühnenbedingungen und so weiter betraf, schon einsame Ausnahme. So was konnte man wo anders nicht erleben. Es war schon ein Erlebnis, dort auch auf die Bühne zu gehen. Ich kann auch aus heutiger Perspektive sagen, dass auch alles, was im Backstage Bereich war, war schwerst international. Das kann man gar nicht anders sagen. Also, wenn es nicht die DDR gewesen wäre, die dem vorstand, dann hätte man gedacht, man ist in New York oder irgendwo, ne?“

Ulrike Kubitza, Auszubildende in der Gastronomie

„Also mir hat man dann den Jugendtreff vorgeschlagen, wo ich erst dachte: Na toll. Wozu habe ich jetzt hier englischen und französischen Service und flambieren und tranchieren gelernt, wenn ich dann da unten im Jugendtreff arbeiten muss. In einer Disko. Letztendlich war ich aber sehr zufrieden darüber, weil tagsüber war das auch wirklich ein tolles Restaurant, also stand in keinem den anderen nach, meiner Meinung nach. Und abends hatte man eben diesen Diskothek-Betrieb, wo auch immer ein Programm war. Walter Plathe war oft da, der Pierre Sanoussi-Bliss, der Matthias Freihof. Das sind alles so Schauspieler heute. Die haben damals noch studiert. Also außer Walter Plathe. Die haben da ihre Programme abgehalten und das war irgendwie immer toll.“

Vera Langer, Betriebsschwester

„Da denke ich an französische Kinderchöre, japanische Kinderchöre, die kamen mit hundert Kindern. Und die standen da auf der Bühne und haben eine Generalprobe gehabt. Die Generalprobe lief über mehrere Stunden und die Kinder standen stramm. Da sind die abgekippt wie die Fliegen, ja? Dann wurden die zu mir gebracht in die Sanitätsstelle. Da weiß ich noch, das war eine Situation, da lagen mehrere Kinder. Und dann habe ich immer gedacht: Oh Gott, wie kriegst du die denn jetzt wieder auf die Beine? Also mit verschiedenen Medikamenten, Tropfen und so weiter. Und bis die sich so einigermaßen wieder erholt hatten, dann mussten die wieder anmarschieren. Dann ging das Training weiter.

Und dann eben auch die großen russischen Balletts, dann die Prima Ballerina, die dann hinter der Bühne auch mal k.o. waren und die ich dann betreuen musste. Udo Lindenberg, Katja Epstein, alles solche prominenten Leute, die dann auch große Leistungen gebracht haben und dann nach mehreren Stunden auf der Bühne, da waren die fix und alle. Und dann sind die natürlich auch zu mir oder zu uns in den Sanitätsbereich, und dann haben wir die wieder einigermaßen auf die Beine gebracht, ne?“

Hannes Uhlemann, Besucher im Palast der Republik

„Dass dieser Ort emotional besetzt wurde, das war ja vielleicht für einen kleineren Kreis von Menschen ein Thema. Dass der wirklich eine Rolle spielte als Gebäude und als eine Struktur, die was anbietet, die Beziehung anbietet. Das kann ich mir am ehesten vorstellen, wenn Menschen hier gearbeitet haben. Aber darüber hinaus fällt mir es schwer, das zu glauben.

Es sei denn, es wird eben im Nachhinein aufgeladen durch einen Kolonialisierungsgedanken. Dass man sagt: „Da hatten wir nun schon einmal den Palast der Republik und dann kommt ihr und sagt: „Das muss aber weg hier. Das stört.“ Das kann solche Gedanken durchaus wecken. Aber ob das innere Repräsentanzen der Menschen sind, also wirklich eine emotional durchgebaute Erinnerung, bin ich mir nicht so sicher. Erinnerungen hat man im Prinzip immer in der Gegenwart. Und das ist natürlich immer tingiert von dem, was in der Gegenwart gerade wichtig ist. Und wenn man jetzt so ein Gespräch führen will, dass eben die Bundesrepublik Deutschland die DDR letztlich so okkupiert hat, dann ist das natürlich ein gutes Symbol, um das daran darzustellen.

Ich hatte in den 90er Jahren hier in Berlin nicht den Eindruck, dass der Palast der Republik und was daraus wird, im Alltag irgendeine Rolle gespielt hat. Auch nicht in der Off-Szene. Da gab es ganz andere Orte wie die Kunstwerke und es gab auch Platz, man konnte sich da austoben. Überall wurde gebaut. Der Potsdamer Platz wurde gemacht. Also es war halt eine Baustelle von vielen. Aber nicht sowas wie so ein pulsierendes Herz der Heimatliebe oder so. Das war nicht die Atmosphäre.“

Audiointerviews zur Geschichte des Ortes, geführt von Mareen Maaß, Ralf Pasch, Bettina Renner, Christian Schmidt, 2022–2023 © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss
Porträtserie zu den Audiointerviews zur Geschichte des Ortes, fotografiert von Tobias Kruse, 2023 © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Tobias Kruse

gehört zu
HIN UND WEG
Der Palast der Republik ist Gegenwart
Autor*in
Anke Schnabel

Anke Schnabel ist Kuratorin im Ausstellungsteam »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Geboren und aufgewachsen in West-Berlin ist sie als Historikerin und Kuratorin seit über 20 Jahren für Museen und Gedenkstätten tätig. Seit 2015 arbeitet sie für die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, aktuell im Team an der Sonderausstellung zum Palast der Republik mit dem Schwerpunkt Erinnerungsarbeit.