Lars-Christian Koch
Die 2002 vom Deutschen Bundestag beschlossene Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses (drei barocke Fassaden und Schlüterhof) umfasste 2008 auch die Rekonstruktion der Kuppel. Insgesamt wurde bei den baulichen Rekonstruktionen eine große historische Detailtreue beschlossen, die zahlreiche monarchische und christliche ikonographische Elemente einschloss. Dazu gehören auch Kuppel und Kreuz.
Dies dokumentiert einerseits die in vielerlei Hinsicht besondere und problematische Geschichte Preußens und Deutschlands insgesamt; andererseits entsteht dadurch die Verpflichtung, sich damit konstant auseinanderzusetzen. Es darf nicht passieren, dass an einem Ort der Kultur und Wissenschaft, des Austauschs und der Diversität aus diesen Symbolen wieder Machtstrukturen in unterschiedlichen kulturellen und politischen Szenarien abgeleitet werden.
Deshalb werden inhaltliche Ausrichtung sowie programmatische Strukturen des Humboldt Forums ein hohes Maß an Diversität und Multiperspektivität aufweisen müssen. Das kann durch ein klares Statement zu globalen, kooperativen, Deutungshoheiten teilenden Ausstellungen und Programmen ebenso geschehen wie durch künstlerische Interventionen und Präsentationen. In diesem Rahmen wird die Rekonstruktion des Schlosses mit all seiner Symbolik – dazu gehören besonders deutlich Kuppel und Kreuz – ein konstanter Reibungspunkt sein und als solcher fruchtbar gemacht werden.
Das Berliner Schloss war in Kombination mit den Museumsgebäuden auf der Museumsinsel vor allem im 19. Jahrhundert eng mit den ethnologischen Sammlungen und denen asiatischer Kunst verbunden. Das umfasst seit diesem Zeitpunkt auch die deutsche Kolonialgeschichte. Vor diesem Hintergrund sind gerade die Ausstellungen dieser beiden Sammlungsbereiche einer kritischen Interpretation von innerer Präsentation in Zusammenhang mit äußerer Gebäude-Symbolik gefordert. Dies kann nur in Zusammenarbeit mit den Ursprungskulturen und deren nationalen Institutionen geschehen – Kooperationen, die sowohl für die Arbeit des Ethnologische Museums als auch des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin seit vielen Jahren von zentraler Bedeutung sind. Es setzt zudem eine umfangreiche Provenienzforschung voraus, die sich nicht nur auf die Erwerbungsumstände von Objekten begrenzt, sondern auch deren heutige Bedeutungen und kulturellen Verflechtungen sowie Transformationen berücksichtigt, welche sich wiederum an der Präsentation in einem rekonstruierten Schloss mit all seinen historisch verankerten Symbolen von Macht und Religion messen lassen müssen.
Gorch Pieken
Von 2013 bis 2020 wurde ein Gebäude in den Ausmaßen und mit dem Aussehen des Berliner Schlosses am authentischen Gedächtnisort in Berlins Mitte errichtet, wo Glanz und Ruin der deutschen Geschichte gleichermaßen erfahrbar waren. Im Laufe ihrer Geschichte war die Schloss-Architektur schon häufig Gegenstand symbolischer Umwidmungen, und auch die Rekonstruktion der barocken Schlossfassade kann wie ein weiteres Spiel mit Authentizitäten verstanden werden.
Das Schloss war ein zentraler Adelssitz feudaler Selbstrepräsentation, es war ein bedeutender Ort der bildenden Kunst und Aufführungsort berühmter Musikwerke, 1806 wurde hier die frei gewählte Stadtregierung, der Carl Friedrich Zelter angehörte, von Napoleon im Amt bestätigt, 1918 rief Karl Liebknecht aus einem Schlossfenster die „freie sozialistische Republik aus“. Und später wurde die Ruine des Zweiten Weltkrieges abgerissen, um Platz für den Palast der Republik der DDR zu schaffen.
In welcher historischen Zeit möchten sich die neuen Schloss-Bewohner erkennen? Welche Vergangenheit des Schlosses halten sie für exemplarisch? Für die Humboldt-Universität ist diese Frage einfach zu beantworten: die eigene.
In den 1920er-Jahren wurde das Schloss zu einem Wissenschaftszentrum. Das international angesehene Psychologische Institut der Universität teilte sich den Palast mit einem Japan-Institut, der Mexiko-Bücherei, dem von Reinhold Seeberg gegründeten Institut für Sozialethik und Wissenschaft der Inneren Mission, dem an der Fakultät für evangelische Theologie angesiedelten Seminar für Publizistik oder dem 1927 gegründeten Forschungsinstitut für die Geschichte der Naturwissenschaften.
Doch die Verbindungen zwischen Schloss und Universität sind älter. Die Universität hatte bei ihrer Gründung große Teile der hohenzollerischen Hausbibliothek erhalten, und Forschung und Ausbildung der renommierten Hofapotheke gingen vollständig an sie über.
Wenn die Humboldt-Universität Ende 2020 ihre Ausstellungsräume im Humboldt Forum bezieht, tut sie dies auch in der Nachfolge der Kunst- und Raritätenkammer des Berliner Schlosses. Und das in zweifacher Hinsicht: Sie war der Ursprung vieler Universitätssammlungen, und ihre Vermittlungsform wurde zum Vorbild für die Ausstellung der Humboldt-Universität im Humboldt Forum. Die Kunst- und Raritätenkammer beschränkte sich nicht auf eine bloße Faktenübersicht und die Mitteilung von Wissen. Sie war ein Raum sinnlicher Erkenntnis, in dem mit spielerischen und ästhetischen Elementen verschiedene Zugänge zur Wissenschaft ermöglicht wurden.
Dabei bezieht sich die Humboldt-Universität auch auf ihre Namenspatrone Wilhelm und Alexander von Humboldt. Der eine war Bildungsreformer und der andere ein Wegbereiter der Wissenschaftspopularisierung. Beide gingen im Schloss ein und aus, dennoch haben beide dazu beigetragen, die angeblich gottgewollte soziale Hierarchie des Königreichs Preußen ins Wanken zu bringen. Als Liberale waren sie den zentralen Werten der Aufklärung verbunden, die das Selbstverständnis moderner Demokratien prägen und essentiell für die Qualität von Wissenschaft sind. Von der Freiheit des Einzelnen hängt auch die Freiheit der Wissenschaft ab. Und umgekehrt lieferte Alexander von Humboldt Impulse für eine Kosmopolitik, die „die Zirkulation von Wissen zur Grundlage sich demokratisierender Gesellschaften macht“ (Ottmar Ette).
Die Humboldt-Universität eröffnet Ende 2020 eine Wissenschaftsausstellung im neuerrichteten Berliner Schloss, die gleichzeitig als Arbeitsstätte für politisches Lernen und Denken auch einen Beitrag zur demokratischen Identitätsbildung leisten möchte.
Jeder Funktionsbau der Kultur hat seine typische Hülle, die wie eine knisternde Verpackung ist, unter der sich der Inhalt deutlich abzuzeichnen scheint. Aber wie überrascht werden Besucher*innen sein, wenn etwas, das wie ein Bonbon aussieht, plötzlich salzig schmeckt.
Paul Spies
Natürlich müssen wir als Akteure im Humboldt Forum uns zu diesem Gebäude verhalten – der zurecht kontrovers diskutierten Rekonstruktion eines Schlosses, das mit seiner architektonischen Ausgestaltung den Herrschaftsanspruch der Hohenzollern-Monarchie dokumentiert.
Ich glaube aber, dass das Humboldt Forum auch mit einer Kuppel und einem Kreuz auf dem Dach ein weltoffener und diskursiver Ort werden kann. Machen wir doch etwas Besonderes mit dem Kreuz! Wie wäre es, wenn es nicht permanent da wäre und wir die Kuppel zeitweilig einer anderen Religion anböten?
Ebenfalls problematisch ist das wiederhergestellte Schriftband, das sich in goldenen Buchstaben auf blauem Grund um den Tambour der Kuppel schlingt. Der Text – ein aus zwei verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes zusammen gesetzter Bibelspruch – geht auf eine Idee von König Friedrich-Wilhelm IV persönlich zurück. Wenn es dort heißt „dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind“, ist das als Reaktion der preußischen Machthaber auf die Revolutionsereignisse in Berlin 1848 zu verstehen. Als Herrscher von Gottes Gnaden verlangte Friedrich-Wilhelm IV. den Kniefall seiner Untertanen für sich selbst! Eine solche in Goldlettern übermittelte Botschaft darf im Humboldt-Forum nicht unkommentiert bleiben: Die Revolution 1848, die erste machtvolle Demokratiebewegung in Berlin, wird deshalb in der Berlin Ausstellung ein zentrales Thema sein.
Auf den Ausstellungsflächen der Berlin Ausstellung setzen wir uns auch mit Berlin als Freiraum und als Raum der Unfreiheit für Religionsausübung auseinander. Ein Film zum Thema „Glaube“ zeigt zum Beispiel drei Berlinerinnen christlicher, muslimische und jüdischer Herkunft, im Gespräch über Demokratie und Toleranz im Kontext von Glaubensfreiheit in Berlin. Zusammen entwickelten sie eine Alternative, wie die Kuppel des Humboldt Forums auch bekrönt werden könnte: Menora, Halbmond und Kreuz in einer Figur vereint! Das Modell dafür wird in unserer Ausstellung zu sehen sein.
Genau über solche Ansätze können wir dem Anspruch des Hauses, ein Forum zu sein, mit Inhalt füllen und das Gespräch weit über unsere Ausstellung hinaus fortführen.