Dieser Artikel ist Teil des Features „… eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist.

The Palace We Go to Die In: von Strafexpeditionen zu Strafausstellungen

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The Palace We Go to Die In: von Strafexpeditionen zu Strafausstellungen; Sprecherin: Jeanne-Ange Wagne

Erstens – hierin liegt die Ironie – ist es, weil das Humboldt Forum vielfältige Formen afrikanischer Geschichte bewahrt und von ihnen profitiert, afrikanische Geschichte aber auch auf sehr grundlegende Weise leugnet. Meine erste Überlegung, diesen Beitrag nicht zu schreiben, ist daher ironischerweise hegelianisch. Aus dramaturgischen Gründen sollte ich wahrscheinlich gar nicht erklären, warum dies so phänomenal ironisch ist. Sondern ich sollte – im Interesse der Anschaulichkeit – warten, bis Sie – die Stirn in Ackerfurchenfalten gelegt, Verständnis kultivierend, die Augen ins eigene Schädelinnere gerichtet und mit der Hand übers Kinn streichend, wie einem plötzlichen Juckreiz folgend – der Ironie hier gewahr werden. Ich sollte ebenfalls aus gutem Grund darauf eingehen, wie allein die Beschreibung der Position, von der ich annehme, dass Sie sie jetzt einnehmen, bereits eine andere Person ausschließt, deren Körper vielleicht nicht auf die gleiche Weise funktioniert wie der Ihre. Aus ebendiesem Grund, um niemanden durch vorgefasste Annahmen auszuschließen, werde ich jeden Grund für die Ironie hier gleich unterlaufen: Hegel glaubt[e][1] nicht, dass Afrika bis zu seinem Kontakt mit Europa eine Geschichte hat[te]. Hier haben wir es, wie überall in der Ausstellung des Humboldt Forums zu sehen sein wird, mit den Grenzen der Permanenz zu tun. Museen fußen auf der Idee der Permanenz[2] (wie Aimé Césaire bemerkt), um lebendige Kulturen in Form von stagnierenden, säuberlich klassifizierten und etikettierten Objekten zu konservieren, die keinem anderen Zweck dienen als der Befriedigung primitivster Neugier, die dann doch nicht über das Anschauen hinausgeht. Hier stehen wir angesichts unermesslicher Schönheit, einer in der Vergangenheit und Gegenwart imaginierten, herbei gehofften, viel besprochenen Schönheit, von unbarmherzigen Händen gefangen, gefoltert und den Augen einer blinden Bewunderung entgegengereckt. Hier erleidet Kultur das schlimmste Unrecht, das man einer Kultur antun kann, nämlich, dass man sie einfach nur schön findet, durch beißende Chemikalien vergiftet, konserviert und von der Beständigkeit der Zeit in Fesseln gelegt, um allein mit einem: „Oh, wie interessant“ aufgenommen zu werden. Hier werden Afrikanische Kulturen zu gewaltsam angeeigneten Souvenirs degradiert, in der Zeit eingefroren und unsicher an den endlosen, die Whiteness säumenden Wänden befestigt. Über genau diesen ableistischen Charakter des Museums und seiner selbstinduzierten Demenz hinaus will dieser Text, den ich nach wie vor nicht schreibe, den kolonialen Charakter der Museen selbst zur Sprache bringen.

Sollte ich ihn aber schreiben, befürchte ich, dass meine Ablehnung gegenüber der Haltung, das Humboldt Forum sei ein „Zentrum“ der kolonialen Untersuchung, durch mein Schreiben ungewollt zum Eingeständnis eben dieser Haltung wird, wenn nicht als das, dann zumindest als ein Zentrum. Hier möchte ich Überlegungen anstellen, inwiefern es sich dabei um eine Kolonisierung des dekolonialen und antikolonialen Diskurses handelt, denn das Humboldt Forum, erbaut auf einem Fundament kolonialer Nostalgie und mit Wänden, die durch Kolonialität zusammengehalten werden, kann sich in keinster Weise mit Tugendhaftigkeit brüsten, und zwar weil es nicht nur in hohem Maße vom Kolonialismus profitiert hat, sondern ebenso von einem Diskurs gegen diesen Kolonialismus zu profitieren versucht, gleichzeitig aber die Stimmen, Gesichter und Körper derjenigen ausbeutet, die diese Ungerechtigkeit erleiden. Doch in meiner Weigerung, diesen Beitrag zu schreiben, entdeckte ich einen Grund, es doch zu tun, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil seine Behauptungen unhinterfragt bleiben, zumindest von mir, sondern auch, weil sich in mir eine weitere Motivation aufgetan hat: Wut. Oder sollte ich lieber Verzweiflung sagen? Und schon, in bester Manier der bestimmten Negation, habe ich einen Beitrag zu schreiben begonnen, indem ich ihn nicht schreibe.

Jemand kritisierte, meine Kritik am Humboldt Forum sei zu emotional. Ich habe das als Erfolg gewertet und feiere diesen Punkt. Ich hoffe, dass mein Beitrag, wenn er überhaupt etwas sein soll, immerhin emotional ist. Denn mein Interesse am Humboldt Forum ist nicht bloß wissenschaftlicher Art, nein, es ist sogar ausschließlich emotional, voller Emotionen, die ich wissenschaftlich als „intangible feelings of discomfort“, als nicht greifbares Unbehagen zu bezeichnen gelernt habe. Wenn überhaupt, dann hoffe ich, wird mein Text aller Objektivität entsagen und sich ganz der Subjektivität verschreiben. Wiederum eine Herausforderung an das vom Humboldt Forum praktizierte Reduzieren von Kulturen und Geschichten auf Objekte, die man kaufen und verkaufen, sehen und anfassen kann, ein Reduzieren auf Kunst, das die Zeit anhält, bei dem eben jene Kulturen, von denen Hegel behauptete, sie hätten keine Geschichte, gegenwärtig sind und genau in diesem Moment aus nichts als Geschichte bestehen, bei dem meine eigene Kultur und die Objekte, aus denen ich Sinn gewinne, auf nichts als den Nachweis einer brutalen Geschichte einer bedauerlichen Begegnung reduziert werden.

Durch also eben jene Überlegungen und Diskurse über die Verbrechen des Humboldt Forums will es sich selbst im Zentrum und als Zentrum etablieren, als Richter seiner eigenen Verbrechen und derer, bei denen es behilflich war und die es herunterspielt. Durch genau jene Überlegungen, die eigentlich seinen Tod hätten herbeiführen sollen, bezieht es sein Leben. Sogar George Orwell hätte keine solche Dystopie schreiben können, dabei befinden wir uns weder im Jahr 1984 noch handelt es sich hier um eine Fiktion. Ich halte es nicht für möglich, dass mein Beitrag das Humboldt Forum in irgendeiner Weise erschüttern wird. Ich habe damit begonnen aufzuzeigen, warum ich ihn nicht schreiben sollte, denn eigentlich handelt es sich hier nicht um einen subversiven Beitrag, eher eine Beschreibung, aber in dieser Beschreibung wird er hoffentlich seine Kraft entfalten. Wenn überhaupt, dann handelt es sich hierbei um einen unterwürfigen Beitrag. Systeme wie das Humboldt Forum sind sehr wohl in der Lage, über sich selbst zu lachen.[3] Ich schreibe diesen Beitrag also nicht in der Hoffnung, er wird etwas ändern, sondern weil es hoffnungslos ist und ich in dieser Hoffnungslosigkeit Mut gefunden habe. Ich bekämpfe die Macht mit dem Prekariat der Theorie, dem Elend der Worte und eben jener Hoffnungslosigkeit der „Hoffnung“ im Angesicht dieses standhaften Systems. Ich bekämpfe seine Worte der Macht mit der Macht(losigkeit) der Worte, ein Kampf auf verlorenem Posten, aber im Gegensatz zu Marx habe ich keine Angst vor müßigem Theoretisieren – tatsächlich ist es das Einzige, was ich gegen das Humboldt Forum in der Hand habe. Eine Überlegung für jene, die in dieser öden Steppe der subalternen Erfahrung leben und sich wie ich immer mal an Marx halten, ist, ob wir überhaupt sprechen können, denn solange wir das nicht können, egal wie müßig unsere Worte sind, können wir nichts verändern. Würde ein Sprechen aber nicht wiederum eine Veränderung der Welt bedeuten? Würde es nicht eine Frage beantworten, die, wenn überhaupt, dann nur rhetorisch geblieben wäre, und die sich gegen die Systeme erhebt, die das subalterne Denken zum Schweigen bringen?

Das Humboldt Forum scheint sich aus eben jenen Gesprächen zu nähren, die es eigentlich zerstören sollten. Das mag auf den ersten Blick überraschen, ein weiteres Kuriosum. Wenn man sich aber den Kolonialismus genau anschaut, wird man verstehen, dass das Humboldt Forum schon immer wie ein Aasgeier – verflucht oder gesegnet, je nachdem, auf welcher Seite des Zauns man gerade steht – sein Leben aus der gewaltigen Leichengrube geschöpft hat, die die kolonialen Strafexpeditionen hinterlassen haben. Um lebhafte (in der ironischst-möglichen Verwendung dieses Wortes) Ausstellungen bieten zu können, um im Zentrum der Metropole Berlin bestehen zu können und dieses vornehmste der „Europäischen Museen“ für Kultur mit Tausenden Besucher*innen zu füttern, musste das Humboldt Forum zunächst einmal eine Sammlung zusammentragen, die sich auch lohnt. Der Prozess dieses Sammelns durch Strafkriege, den das Humboldt Forum als „Amateur-Ethnografie“ adelt und damit Soldaten zu Ethnografen macht, brauchte den Tod und das Töten von Menschen, um diese Sammlungen zu erzeugen. Tatsächlich handelt es sich bei einigen der Artefakte um „human remains“, menschliche Überreste. Vermutlich ist es das Gleiche, ein Messer in einen afrikanischen Kopf zu rammen, wie eine Schaufel in den Sand, oder wie sonst könnte eine sogenannte Strafexpedition mit Tötungen genozidalen Ausmaßes als Amateur-Ethnografie bezeichnet werden? Zur Veranschaulichung dieses Punktes werde ich die unwahrscheinlichste aller Metaphern herbeibemühen, nämlich ein Kartenspiel. Es gibt ein Kartenspiel mit dem treffenden Namen: „Magic. The Gathering“, das hier aufschlussreich sein könnte. Es handelt sich um ein Kartenspiel, bei dem die Spieler*innen in die Rolle von Zauberern und Zauberinnen schlüpfen, Zaubersprüche anwenden, Geschöpfe heraufbeschwören und magische Artefakte einsetzen, um ihre Gegner*innen zu besiegen. Das Spiel, um das es hier geht, ist der Kolonialismus, die Zauberer sind die Kolonial- und Militärbeamten (die das Humboldt Forum als Amateur-Ethnografen bezeichnet). Und die Zaubersprüche? Strafexpeditionen (und hier ersetzen wir magisch durch heilig) und die hier erbeuteten „Objekte“, durch die das Humboldt Forum zu einem Ort für anhaltende koloniale Bestrafung wird.

Dies ist jedoch nur eine sehr grundlegende Überlegung darüber, inwiefern das Humboldt Forum aus dem Tod Leben schöpft, die oberflächlichste, die man sich denken kann, und zwar trotz der Tatsache, dass der Zugang zu kolonialen Archiven stark eingeschränkt ist. Eine tiefergehende Auswertung bietet Aimé Césaire. Lassen Sie uns also das Humboldt Forum mit ihm lesen: Césaires Kritik an Museen geht über die problematische und gewaltvolle Herkunft einiger der „Artefakte“ in ihren Sammlungen hinaus. Jenseits von Eigentumsfragen beschäftigt er sich mit den Motiven, die der Gründung von Museen zugrunde liegen: Sind sie wirklich nur aus Neugierde entstanden? Um unseren banalen Eitelkeiten zu schmeicheln? Diese Museen sind seiner Ansicht nach Verkörperung der „westlichen“ Hegemonie über Geschichte, Ethnografie, Wissenschaft und andere Aspekte des Lebens und Wissens. Seine Kolonialismuskritik entlarvt sodann die Rolle der Museen als Standorte des eurozentrischen Monopols auf die Über-Repräsentation menschlicher Existenz schlechthin. Er kommt zu dem Schluss, dass es besser wäre, hätte es Museen nie gegeben. Der Bedarf an Museen entstand seiner Argumentation zufolge durch die Zerstörung von Kulturen und Geschichte und wurde durch das koloniale Unternehmen eingeleitet und beschleunigt. Museen stehen für Césaire daher für das Versagen Europas, außereuropäisches Denken zu tolerieren, und für die Zerschlagung blühenden, dynamischen Lebens in verstümmelte und (falsch) etikettierte, inventarisierte Teile: der „Gigantic Rape“, die kolossale Schändung des Heiligen. Europäer*innen zerstören diese Zivilisationen und unterbinden die Entfaltung ihres wahren Potenzials, und haben im Gegenzug nichts geschaffen, nichts, was der Rede wert wäre, nichts außer dem Befriedigen einer Eitelkeit. Im Lichte dieser Kritik werden Museen nutzlos, wenn sie nicht dazu beitragen können, die durch den Kolonialismus zerstörten Kulturen wiederzubeleben und dynamische, antikoloniale Kulturen zu schaffen. Daher ist zu überlegen: Gibt es wirklich Kulturen, die dazu geschaffen wurden, zu Museumsartefakten zu werden? Wenn ja, welche Kulturen sind für das Museum geschaffen und welche nicht? Selbst wenn wir uns auf ein paar Kulturen einigen könnten, die exklusiv für Museen geschaffen sind, wie sollten wir uns darauf einigen, welche Denkweisen, Arten von Gefühlen und Betragen, welche Beziehung, in der Menschen mit ihrer Umwelt stehen, damit gemeint sind? Welche Kulturen sollten und können Museen besitzen und betreiben? Und wenn es heute heißt, die Dekolonisierung des Museums habe Priorität, ebenso wie Afrika zu dekolonisieren Priorität habe, sollte man sich fragen: Wurde das Museum je kolonisiert?

Wenn man der Spur des Blutes folgt, liegt daher die Überlegung nicht fern, dass Museen, während sie zwar die Eitelkeiten der europäischen Besucher*innen nähren, die die Objekte nur wegen ihrer Schönheit und Exotik schätzen, obgleich deren Präsenz im Museum im Zusammenhang mit Plünderung und Tötung steht, im Grunde ein Leichenschauhaus der Kulturen darstellen. Dieses Prachtschloss ist in Wirklichkeit ein Schloss des Grauens. Ein starkes Stück Leblosigkeit im Herzen des Handelsimperiums des Todes. Und es wird noch düsterer, wenn man bedenkt, dass dieses Forum in mehr als einer Hinsicht nicht nur Leben aus dem Siechtod der Kulturen schöpft, sondern diesen Tod auch an die Überlebenden dieser Seuche verkauft. An dieser Stelle verlieren auch all jene die Hoffnung, die sich noch daran geklammert haben. Und so muss es auch sein. Aber gerade in diesem Verlust der Hoffnung, oder in dem Mut, sie zu verlieren, findet sich Hoffnung. Es stellt sich also die Frage – und hier ziehe ich es vor, die Logik etwas zu strapazieren, statt sich in festgefügten, theoretischen Beschränkungen zu bewegen: Wie lange können sie das noch durchhalten? Nicht: Wie können wir sie aufhalten?

Ich habe das Humboldt Forum als standhaft und „nachhaltig“ bezeichnet. Lassen Sie uns diese Prämisse einen Moment lang infrage stellen. Um sich vom Leben zu nähren und Fett anzulegen, muss Leben zuallererst im Überfluss vorhanden sein. Tatsächlich betreibt das Humboldt Forum aber eine Art Kannibalismus, um zu überleben. Und wiederum müssen wir sofort alle Hoffnung fahren lassen, was unsere Bemühungen betrifft, uns diesem System entgegenzustellen, denn das erhoffte Licht am Ende des Tunnels ist (wie Žižek aufzeigt) das Licht eines uns entgegenrasenden Zuges. Und zwar weil wir in unseren Bemühungen, uns selbst zu retten, unbeabsichtigt auch unsere Schinder retten. Man führe sich vor Augen, dass in europäischen Universitäten ein guter Teil des wissenschaftlichen Treibens der letzten Jahre der Dekolonisierung gewidmet war (in diesem Zusammenhang schickte eine der Berliner Universitäten ihren Studierenden einen Brief, der sie zu einer als „topical“, auf trendige Weise aktuell, bezeichneten Konferenz einlud). Dieses Interesse ist nicht nur dem Wohlwollen oder einer Demuthaltung Europas geschuldet. Es besteht darin, andere Kulturen wieder wachsen zu lassen und selbst eine Zeit lang zu hungern, um sie dann wieder zu fressen, wenn sie reif sind.

Die gegenwärtigen Diskurse stellen diese Strukturen, zum Beispiel Museen und Universitäten, nicht infrage. Tatsächlich sind sie auf diese Strukturen für ihr eigenes Überleben angewiesen, und während sie auch an Zahl zugenommen haben, finden selbst die radikalsten Diskurse – auch das im Zeichen der Hoffnungslosigkeit –, sodenn sie von Europäer*innen „toleriert“ werden, nur in den Vorratsspeichern statt, in denen Europa seine Nahrung bewahrt. Dekolonisierung und die neue Aufmerksamkeit dafür ist ein aufschlussreiches Beispiel, wenn man es wagt, den Blick jenseits der Spree nach Frankreich zu richten, und zwar auf die Berufung einer Forschungskommission die zu einem Bericht zur Restitution von Museumsobjekten geführt hat[4]. Es passt, wenn man es als das erkennt, was es ist: „eine dekoloniale Foie gras“. Nach dem Bericht, der übrigens gut gemacht und gut geschrieben ist, hat Frankreich sich sofort ans Fressen gemacht. Mit der Rückgabe von 26 Objekten an Benin und einem historischen Säbel an den Senegal, was von Bénédicte Savoy als „Fall der Berliner Mauer der Restitution“ bezeichnet wurde, haben sie ihren Ruf reingewaschen. Die Rückgabe eines Sandkorns aus der ganzen Wüste der in Kellern versteckten und in Strafausstellungen aufbewahrten Raubobjekte hat europäische Institutionen zu Helden der Restitution gemacht, und nicht diejenigen, die sich ihr Leben lang und noch als Tote gegen die Plünderung Afrikas gewehrt haben. „Westliche“ Regierungen haben auch Vorschläge für den Bau von Museen in Afrika gemacht, in die die (afrikanische Beute-)Kunst zurückgegeben werden kann und deren Kredite die entsprechenden Regierungen viele Jahre lang abbezahlen. Wir haben es also mit einem großzügigen Gefängniswärter zu tun, der anbietet, das Gefängnis auf dem Grundstück der Gefangenen zu bauen, damit die Gefangenen in der Nähe ihrer Heimat sein können. Das ändert zwar nichts an der Tatsache, dass sie immer noch Gefangene sind, aber zumindest sind sie zu Hause.

Was man sich hier fragen muss, ist: Habt Ihr die „Kunst“ aus Museen gestohlen? Das Wort „Reparation“ hat zwei Bedeutungen: eine für die Kolonisatoren und eine für die Kolonisierten. Für Frankreich, Deutschland und andere europäische Länder bedeutet dieses Wort den „Vorgang der Wiederherstellung von etwas“, in diesem Fall ihres politischen Ansehens. In der Tat bietet das Humboldt Forum da ein gutes Beispiel, da das Schloss zwar neu erbaut wurde – und wir werden uns gleich mit seinem politischen Framing als das „Neue-Alte“, wie Steinmeier es formuliert, befassen –, es in seinem Inneren aber eine koloniale Agenda und Seele birgt. Mit diesem reparierten, renovierten und neu eingefärbten Ansehen, wie bei einem Chamäleon, das sich seiner Umgebung anpasst, kann der Raub weitergehen. Dass eine Schlange ihre Haut abwirft, macht sie nicht weniger zur Schlange, nur eben mit neuer Haut. Die zweite Bedeutung ist „die Wiedergutmachung von Unrecht, das in schlichtester Form begangen wurde.“ Mwazulu Diyabanza verleiht dieser Definition[5] mehr Tiefgang, für ihn bedeutet sie „die Wiederherstellung der historischen Wahrheit, um deutlich zu machen, was wirklich geschehen ist … eine rechtliche Rehabilitierung … die Wiederherstellung von zerstörten Communities und Kulturen … und das Zurverantwortungziehen der Schuldigen“. Lassen Sie uns den Vorschlag Frankreichs für den Bau von Museen oder die Entscheidung Deutschlands, Entwicklungshilfe für Namibia zu leisten, im Lichte dieser neuen Definition bewerten. Hast Du sie aus Museen gestohlen? Oder ging es darum, das Problem der Unterentwicklung zu lösen? Der weiße Retter, in seinem aus einem Bericht geschneiderten Cape, eilt mal wieder zur Rettung herbei und verteilt Euros, die er später zurückbekommt.

Verzeihen Sie mir, dass ich so düster klinge, und lassen Sie uns einen Moment zu heitereren Dingen übergehen. Nun, vielleicht nicht heiter, aber immerhin angenehm vertraut. „Die Werkzeuge des Hausherrn können sein Haus nicht zerstören.“ Betrachten wir für einen Moment diese warnende Zeile von Audre Lorde, die man gar nicht genug hervorheben kann. In der Tat sind die Werkzeuge des Hausherrn nicht zu unterschätzen. Mit dieser Sprache, die nicht meine eigene ist, in einer Publikation, über die ich keine Kontrolle habe, und in einem Kolonialismusdiskurs, der nicht meinen eigenen Wünschen entsprungen ist: Wie kann ich mich da als Künstler*in bezeichnen? Oder bin ich eher Handwerker*in? Die Unterscheidung ist hier sehr wichtig, denn Künstler*innen dürfen – und hier zitiere ich die zweite Definition, die ich auf Google gefunden habe: „Personen, die gewohnheitsmäßig bestimmte verwerfliche Tätigkeiten ausüben“ – emotional und radikal sein. Die einzig erforderliche Qualifikation hierfür ist, dass er oder sie ein Mensch ist. Diese Überlegung ist deshalb wichtig, weil man als Künstler*in kreativ sein kann und Dinge tut, weil man will – oder muss.

„wenn es nicht aus dir herausbricht,
allem zum Trotz,
mach‘s nicht.
es sei denn, es kommt unaufgefordert aus deinem
Herz und deinem Geist und deinem Mund
und aus deinem Bauch,
mach’s nicht.“
(Auszug aus so you want to be a writer? von Charles Bukowski)

Obiges nennt also einen weiteren Grund, warum ich diesen Beitrag nicht schreiben werde. Wenn wir uns nämlich einmal die Dekolonisierung anschauen, die mit der Kunst insofern in Verbindung steht, als dass sie „verwerflich“ ist und tief aus dem Bauch herausbricht, können zwei Zitate diesen Punkt vielleicht verdeutlichen: eins von einer Straßendemonstration in Berlin und eins von Wissenschaftler*innen in ihrem akademischen Elfenbeinturm:

„Wenn du nicht wütend bist, hast du wohl nicht aufgepasst“

„Wut ist … sowohl legitim als auch notwendig, um die längst überfällige Aufgabe der Dekolonisierung zu vollenden.“ Canham (2018)

Beide sind – anders als ich: der*die Handwerker*in hier, der *die ich auf einen Call for Contributions reagiere – von dem menschlichsten aller Gefühle beseelt: Wut. Verliere ich hier also nicht meine Menschlichkeit, indem ich diesem Aufruf folge? Indem ich meine Wut zügele? Oder handelt es sich hier um Balance, Ausgewogenheit?

Während Künstler*innen zwar aus der Armut schöpfen können, und tatsächlich ist die Not, wie Ngũgĩ wa Thiong’o (den ich nun mit Bukowski ins Gespräch bringen möchte) in Globalectics schreibt, die Mutter der Erfindung. Hier wird die Armut also nicht zum Ziel, sondern zum Mittel auf dem Weg zum Reichtum. Doch wem gereicht dann also dieser Beitrag zum Reichtum? Und hier kommt die Verwerflichkeit in der Kunstdefinition oben ins Spiel: Das Humboldt Forum wird dadurch bereichert, aber auch ich werde bezahlt. Wenn Sie also diesen Beitrag in dem vom Humboldt Forum veröffentlichten Magazin lesen, habe ich mich verkauft. Der Punkt, auf den ich hier hinauswill, um noch einmal auf die Werkzeuge des Hausherrn zurückzukommen: Würde ein Hausherr Handwerker*innen bezahlen, sein eigenes Haus zu zerstören? Darüber hinaus scheint es, dass die Repräsentant*innen des Humboldt Forums nicht nur der Ansicht sind, dass man eine Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus kaufen kann, sondern dass sie eine Diskussion instrumentalisieren und zur Ware machen können (das Werkzeug in der Hand der Handwerker*innen), eine Diskussion, die eigentlich die Instrumentalisierung von Kritik hinterfragen soll. Das Humboldt Forum wird hier also zum Handelsplatz, ein Umschlagplatz für den Kauf und Verkauf von Diskurs und Auseinandersetzung mit Kolonialismus. Auf die gleiche Weise, wie auch Frankreich die Restitutionsforschung zur Ware gemacht (gekauft und bezahlt) hat. Hier tätigen koloniale kapitalistische Strukturen Investitionen und warten auf ihre Rendite.

Das ist noch nicht mal das Traurigste an dem Modell für die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, wie es das Humboldt Forum vorschlägt. Denn die Subalternen – und hier können wir wiederum keine Hoffnung aufkeimen lassen und ich bitte nochmals darum, alle Hoffnung fahren zu lassen – werden in ebenjene Systeme eingespannt, die sie marginalisieren und ausbeuten. Indem ich zu dieser Publikation beitrage, verleihe ich dem Humboldt Forum die Bedeutung, die es braucht; ich biete ihm ein Bekenntnis auf eigene Kosten, eine Rechtfertigung für seine fortgesetzte Existenz. Während also das Humboldt Forum weiterhin Ort fortwährender kolonialer Bestrafung ist, weiterhin Feuer legt, meine Heimat mit „Kulturbomben“ bewirft, wie Ngũgĩ wa Thiong’o es nennt, soll ich ihm noch dafür danken. Also, liebes Humboldt Forum, ich bin Dir zu Dank verpflichtet für die Möglichkeit, hier zu veröffentlichen. Denn wenn Dir jemand im Schlaf das Haus anzündet, dann dankst Du ihm nun mal dafür, dass es jetzt früher hell wird, das heißt, falls Du überlebst. Das Humboldt Forum wird erst dann ein legitimer Ort der Dekolonisierung sein, wenn es all die kolonialen Beuteschätze in seinen Ausstellungen und Sammlungen restituiert und sich dann selbst in Brand gesteckt hat. Wenn dann alles niedergebrannt ist, können wir einen Grabstein errichten, auf dem geschrieben steht: Hier liegen die sterblichen Überreste der kolonialen Nostalgie. Aber das ist wieder wie in einem dunklen Tunnel einem rasenden Zug gegenüberzustehen, nur weil man Licht sieht.

Das liegt daran, dass dasselbe kapitalistische Modell der Auseinandersetzung mit Kolonialismus die Kritik nicht nur zur Ware macht, sondern auch professionalisiert. Das zynisch Geniale an diesem Plan – ich weiß es zu schätzen, wenn ich es mit Genialität zu tun habe, aber das trübt nicht mein moralisches Urteilen – ist, dass der Diskurs über Kolonialismus auf strukturierte und professionelle Weise geordnet und nachhaltig ist. Hegels „bestimmte Negation“ ist nützlich, um dies zu verstehen, denn wir können nicht über etwas sprechen, es sei denn, es existiert. Der vorgeschlagene Titel für dieses Magazin: „… eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist …” ist in dieser Hinsicht ein Oxymoron. Wenn wir eine so riesige, physische Struktur errichten wie das Humboldt Forum, das der Auseinandersetzung mit Kolonialismus gewidmet ist, wie könnten wir dann behaupten, er existiere nicht mehr? Die Schwierigkeit besteht aus diesem Grund also darin, dass das Humboldt Forum wie die meisten Unterdrückerstrukturen, einschließlich Regierungen und Hochschulen, der größte Arbeitgeber für Kolonialismusforscher*innen und -aktivist*innen ist. Die einzige Möglichkeit, die Behauptung zu widerlegen, das Humboldt Forum sei ein Zentrum für Kolonialismusforschung, bestünde also darin, dass es aufhört zu existieren. Nehmen wir mal an, dies wäre möglich – was passiert mit den Arbeitsplätzen der dort Beschäftigten? Ich bin Marxist*in, Sie kennen also die Antwort.

Hier wälzt das Humboldt Forum die Last, den Kolonialismus am Leben zu erhalten, auf uns ab. Es externalisiert sie und befreit sich von der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Beteiligung am kolonialen Projekt, um stattdessen zu behaupten, Zentrum dieser Auseinandersetzung zu sein. Für Subalterne verbinden sich also auch andere Erwägungen, die nämlich über das Sprechen hinausgehen – wie Nahrung, Unterkunft und Sicherheit –, mit den Strukturen, die sie zum Schweigen bringen. In der Tat ist es so, dass der*die Subalterne nicht sprechen kann, weil er*sie gerade isst. Es ist nicht nur Ausdruck schlechter Tischmanieren, mit vollem Mund zu sprechen, es ist wirklich schon anatomisch schwierig gleichzeitig zu essen und zu sprechen: „Der Mund, der isst, spricht nicht.“ Es ist also so, dass unsere finanzielle Sicherheit und Jobsicherheit (in einer kapitalistischen Welt, in der das Geld die Welt regiert) an das Fortbestehen von Systemen gebunden ist, die uns unterdrücken. Gestatten Sie mir, obwohl ich diesen Punkt bereits angesprochen habe, noch ein bisschen auf dieses tote Pferd einzupeitschen: „…eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist…“ ist eine Welt, in der das Humboldt Forum nicht existiert. Oder es ist eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist, weil das Humboldt Forum jede sinnvolle Diskussion und Maßnahme zu diesem Thema unterbunden hat. Eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist, ist eigentlich eine Welt, in der das Humboldt Forum nicht existiert, denn bislang war Kolonialität hauptsächlich als eine Reihe von nicht greifbaren, aber realen Implikationen und Beziehungen in Erscheinung getreten. Nun ist da aber das Humboldt Forum, dieses prunkvolle Schloss, ein Haus, das für das grauhaarige Pärchen Kolonialität und Kapitalismus gebaut wurde und in dem sie nach wie vor für das Publikum die kolossale Schändung Afrikas veranstalten.

Hier stehe ich dieser Bestie gegenüber, mit seinen mächtigen humanen Ressourcen, bestehend aus hochqualifizierten Kolonialist*innen und wettergegerbten, professionellen Opfern des Kolonialismus. Eine Bestie, die ihren strukturellen Rassismus durch die Individualisierung dieser strukturellen Probleme zu lösen versucht, indem sie ihren Sicherheitsleuten ein paar Kurse anbietet. Wo die Antwort auf Kritik an der eurozentrischen Darstellung alles Menschlichen ein Text über die weiße Perspektive an der Wand ist, von dem es stolz heißt, er sei von einer „Schwarzen Person“ geschrieben. Mein nicht sehr mächtiger Text steht einem Text der Macht gegenüber, der Kritik zwar toleriert, sie aber nicht aufgreift und in dem die Lösung für Diversitätsfragen „Inklusion“ heißt. Ich bin dieser Bestie hier völlig ausgeliefert, vielleicht bin ich einfach insgeheim Masochist.

Wir sehen uns hier dem altbekannten Erstgeborenen des grauhaarigen Pärchens gegenüber: dem Eurozentrismus. Das Problem mit dem Eurozentrismus ist nicht das Europäische, sondern dass er, als Ergebnis einer inzestuösen Affäre zwischen Kolonialismus und Hegemonie, eine hierarchische Unterscheidung zwischen einer Kategorie Mensch und dem „anderen“ etabliert und davon profitiert (Rendite). Wenn er also dieses einzigartige Verständnis unseres chaotischen und komplizierten menschlichen Daseins erzeugt, wie kann sich es hierbei um eine echte Auseinandersetzung mit Kolonialismus handeln? Forschung ist nicht unabhängig, sie dient den Interessen der Forscher*innen und den Interessen ihrer Geldgeber*innen. Während sie ein Bedürfnis nach Wissen stillt, bestätigt und rechtfertigt sie gleichzeitig bestimmte Weltanschauungen und Maßnahmen. Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass im Interesse der weißen Vorherrschaft „wissenschaftliche“ Forschungen über die Hierarchie der Rassen durchgeführt wurden, der Rest ist bekanntlich Geschichte. Ein aktuelles Beispiel für eine Forschung, die das Vorgehen des Geldgebers rechtfertigt, ist der oben angesprochene, von Frankreich in Auftrag gegebene Restitutionsbericht.

Das Problem am Humboldt Forum ist also nicht, dass es einfach ein Revival und Triumph preußischer Glorie ist. Hierbei ist es hilfreich, sich die Eröffnungszeremonie vor Augen zu führen und sich vorzustellen, man hätte Frantz Fanon statt Chimamanda Ngozi Adichie eingeladen (und hier geht es mir natürlich um die Art der Auseinandersetzung mit Kolonialismus, nicht um die Person). Um dies zu tun, müssen wir zunächst bedenken, dass Forschung oder Diskussion nicht nur stattfinden, weil Menschen zufällig sprechen können. Wir müssen uns also wiederum fragen: Zu welchem Zweck will das Humboldt Forum ein Ort der Auseinandersetzung mit Kolonialismus sein? In der Annahme es gäbe keinerlei Zweifel (und angenommen, niemand hätte Descartes in dieses Gespräch geholt) an seiner Legitimität und sie würde nicht angefochten.

Sokrates hat einmal gesagt: „Ein ungeprüftes Leben ist nicht lebenswert.“ Wenn wir uns also anschauen, was das Humboldt Forum hier versucht, werden wir sehen, dass sie Sokrates‘ Worte einfach übersetzen in „Ein ungeprüfter Kolonialherr macht kein Geld mit Kolonialität.“ Auch hier hilft ein Blick auf Frankreich, das nach dem bahnbrechenden Raubkunst-Bericht nun damit Geld verdienen will. Betrachten wir also das Humboldt Forum einmal als ein Krankenzimmer, in dem Kolonisierung und Kolonialität im Hemdchen vor uns liegen, eine Reihe von unbequemen Lichtern (Ihre und meine) auf ihre dreckigen, ekelerregenden Eingeweide gerichtet. Den Patientinnen ist klar, dass dieses Übel notwendig ist, damit die Untersuchenden die Eingeweide verstopfenden Fremdkörper aufspüren können, um sich anschließend wieder über die Subalternen hermachen zu können. Dieses Übel hier ist auch unsers, das der Subalternen, die wir den Kolonialismus untersuchen, für den das Humboldt Forum niemals zahlen wird.

Wie Emma Dabiri in What White People Can Do Next sagt: „Sprich nicht von Whiteness, es sei denn, um sie zu vernichten.“ (Das Humboldt Forum hat sich wohl für sein neues Projekt – nach dem Plündern afrikanischer Kulturen – diesen Buchtitel folgendermaßen übersetzt: What Can Black People Do For Whiteness Next). Dieser Versuch des Humboldt Forums ist nicht nur eurozentrisch, sondern basiert auch auf dem Versuch der Anhänger der weißen Vorherrschaft, weiße Menschen als „spirituelle“ (das Humboldt Forum behauptet, heilige Traditionen zu respektieren, während es gleichzeitig von einem System profitiert, das sie profanisiert) und intellektuelle Wesen darzustellen. Ziel ist es hier, ihre Fähigkeit und Qualifikation zur Herrschaft über die Kulturen der Welt und den kolonialen Diskurs zu rechtfertigen. Wir wissen ja, dass das Humboldt Forum nicht „Whiteness benennt, um sie zu vernichten”, sondern um sie zu reanimieren, um die Subalternen ein System wiederbeleben zu lassen, das im Interesse der Schaffung des neuen Menschen, zerstört werden sollte, um Fanon zu paraphrasieren. Wenn Frank-Walter Steinmeier also verkündet, das Humboldt Forum sei das „Neue-Alte“, ist das definitiv keine Aussage, die auf einer Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus basiert. Bedeutet die Dekolonisierung von Museen, dass wir dieser Schlange, die sich an Kulturen überfressen hat, dabei helfen, sich zu häuten?

Steinmeiers Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums ist aufschlussreich, wenn es um die Stellung des Humboldt Forums in der Auseinandersetzung mit Kolonialismus geht. Die Vision des Humboldt Forums, basierend auf einer hegemonialen, eurozentrischen Vision eines Kosmopolitismus, der im Kolonialismus seinen Ursprung hat, ist, die koloniale Mission zu erfüllen und Zentrum der Weltkulturen zu sein. Dies beruht natürlich nicht darauf, dass andere „Zentren“ ignoriert werden, sondern darauf, dass diese Zentren zugleich anerkannt und verunglimpft werden. Man beraubt sie all dessen, was schön und ehrfurchtgebietend ist, was heilig und klug ist, wirft Kulturbomben ab.

Wie Felwine Sarr in Afrotopia darlegt, geht der europäische Kolonialismus mit der Unterdrückung der eigenen Barbarei einher, die auf dem afrikanischen Kontinent ihr Ventil findet. Was Aimé Césaire die „chosification“, die Verdinglichung, nennt, die Europa als Zentrum erst ermöglichte, hat zur Folge, dass andere zu Peripherien degradiert werden. Europa muss – ganz hegelianisch – seine eigene Barbarei negieren und gleichzeitig affirmieren, wenn es die anderen seine Gewalt spüren lässt. Europäer*innen sind auf diese bipolare Dialektik angewiesen, um zu überleben: ihre eigene Menschlichkeit zu bewahren, indem die Menschlichkeit der anderen verworfen wird. Ihre eigene Kultur aufzubauen, indem die Kultur der anderen zurückgewiesen wird. Natürlich können Europa und das Humboldt Forum sich mit Kolonialismus auseinandersetzen, sie können sich mit sich selbst auseinandersetzen, denn sie haben eine gespaltene Persönlichkeit, deren Teile sich vielleicht gegenseitig ablehnen, die aber um zu überleben aufeinander angewiesen sind. Genau wie die Empfindung von Wärme ohne eine Empfindung von Kälte bedeutungslos ist. Was also das Humboldt Forum dazu befähigt, sich mit Kolonialismus auseinanderzusetzen, ist gerade seine Kolonialität als Institution. So wie Geräusch nur als Abwesenheit von Stille wahrgenommen werden kann, kann sich das Humboldt Forum mit Kolonialismus nur dank der Stille befassen, die es in anderen Teilen der Welt erzeugt hat.

Mit der vorgeschlagenen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus stellt das Humboldt Forum alle Maßnahmen, Pläne und Träume von Dekolonisierung zurück. Es hat sich dem Narrativ von Afrika als Zukunft angeschlossen, das in der Gegenwart noch nicht existiert, wie Sarr anmerkt. Hier erkennen wir den Triumph des Habens über das Sein: Indem das Humboldt Forum behauptet, es könne sich mit Kolonialismus auseinandersetzen, nur weil es ein paar triviale Beutestücke aus der Kolonialzeit für sich beansprucht und deshalb meint, es könne die Diskussion für sich beanspruchen, und so das kollektive Wissen und Sein von Millionen von Menschen auf schön gemachte Kratzer in Holz und Bronze reduziert.

Die Mitarbeiter*innen des Humboldt Forums, wenn sie darauf angesprochen werden, warum sie die „Objekte“, die ich als „Subjekte“ bezeichnen möchte, behalten, beschränken die Auseinandersetzung mit Kolonialismus auf die Korrektur von Namen, das Streichen von „Möglicherweises“ in den Begleittexten und den Vorschlag, man könne Provenienzforschung betreiben. Das Problem mit der Provenienzforschung – meine Antwort auf Steinmeiers Verlautbarung der Ankunft der Kulturen der Welt – ist jedoch, dass diese Art der Forschung sich auf eine sehr begrenzte Sicht auf den Kolonialismus fokussiert. Sie bildet koloniale Kategorien von Opfern und Tätern nach und ignoriert dabei völlig die Geschichte des antikolonialen Widerstands. Die Restitution, die von dieser Art von Forschung ausgeht, ist eine Restitution, die die koloniale Dynamik des wohlwollenden Europas und des beschädigten, hilfsbedürftigen Afrikas wiederherstellt. Diesmal will Europa nicht einen christlichen Gott einführen, der die Seele Afrikas vor den Afrikaner*innen selbst rettet.[6] Sondern es gibt vor, Afrikas Seele nach Afrika zurückzubringen und Afrika vor Europa zu retten, während sie aber nur die Saat eines neuen Kolonialismus säen, sich und ihr Selbstbild retten wollen. Bei einer echten Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus geht es nicht darum, Widerstand und Kritik zu tolerieren, es geht darum, dass man kritisch ist und sich auf Kritik einlässt. Wenn Afrikaner*innen also laut die Rückgabe ihres Selbst fordern, schlagen Europäer*innen vor, dass sie dieses Selbst, wenn sie es denn gefunden haben, zum Verkauf stellen, damit sie es nochmals kaufen können, und zwar mit Stücken Papier, die an nichts gebunden sind, die zu nichts gut sind außer der Wiederherstellung eines eurozentrischen Weltverständnisses.

Woran es Afrika jedoch mangelt, ist nicht nur diese Art von Selbstvermarktung, wie Sarr feststellt, sondern dass seinen Bewohner*innen die Fähigkeit genommen wurde, ihre eigenen Zukunftsmetaphern zu erschaffen. Der Standort des Humboldt Forums in Berlin Mitte, mit der museumseigenen Hausordnung, den Beschränkungen, Eintrittspreisen und dergleichen, ist natürlich nur eine physische Tatsache. Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus ist, um Sarr zu zitieren, „eine kreative Schwangerschaft“. Dies ist die Phase, in der wir Metaphern für unsere Zukunft entwickeln, in der wir in dieser unversöhnlichen Dystopie unsere eigenen Utopien gestalten. Bedeutet das Humboldt Forum, dieser unapologetische White Space, diese Leerstelle, nicht, dass wir erneut beraubt wurden? Dass die Dekolonisierung von Beginn an kolonisiert wurde? Wenn eine Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus die Geburt der Dekolonisierung bedeutet, was für ein Kind soll aus dem Inzest zwischen Kolonialismus und Eurozentrismus entstehen, den das Humboldt Forum repräsentiert?

Gesellschaften begründen sich durch ihre Vorstellungswelten, und wenn die Vorstellungen Afrikas erbeutet und im Humboldt Forum ausgestellt werden, werden wir (Afrika) sterben. Denn dieses Forum ist auf die Tode Afrikas gebaut, nicht nur die imaginierten, sondern die tatsächlichen, es kann nur funktionieren, indem es dessen Vergangenheit ausbeutet, um Ausstellungen und Sammlungen zu gestalten. Es ist für sein eigenes Überleben und um in der Zukunft relevant zu sein darauf angewiesen, dass diese Vergangenheit in der Gegenwart anwesend ist. Das Afrika des Humboldt Forums ist ein untotes, unlebendiges, in der Vergangenheit gefangenes. Die Auseinandersetzung mit Kolonialismus, in der Hoffnung, ein neues Afrika zu schaffen, einen neuen Menschen à la Fanon, wenn man so will, bedeutet, „sich selbst zu denken, zu repräsentieren, zu projizieren“ (Felwine Sarr, Afrotopia). Nicht: gedacht, repräsentiert oder projiziert zu werden.

Berlin ist der Ort, wo Grenzen, eher künstliche als reale, gezogen und die Einfluss- und Ausbeutungssphären festgelegt wurden. Nochmals: Das Humboldt Forum als das „Neue-Alte“ zu bezeichnen, bedeutet, die Adresse der sogenannten Berliner Konferenz von der Wilhelmstraße zum Schlossplatz zu verlegen. Wenn sich auch der Ort geändert hat, drehen sich die Verhandlungen innerhalb dieses Schlosses noch immer um Einfluss und die Ausbeutung Afrikas. Architektonisch ist das, was Steinmeier einen Ort von nationaler Bedeutung nennt, das schöne, das prächtige Schloss, auch ein Gefängnis, ein Ort kolonialer Bestrafung. Er stellt in seiner Rede fest, dass das Gebäude zwar fertiggestellt ist, aber dennoch unvollendet bleibt. Und das ist aufschlussreich, denn wenn man diesen Ort als Fortsetzung kolonialer Bestrafung sieht, dann steht uns noch Einiges bevor. Ich fürchte, Fanon wird warten müssen, bis sich alle Teile zusammengefügt haben, bevor wir dieses Geisterschloss abreißen und unseren eigenen Leviathan à la Hobbes oder unser eigenes Monster wie das von Doktor Frankenstein errichten.

In diesem neuen-alten Berliner Schloss kristallisiert sich jahrelange Nostalgie und Planung, erbaut gegen antikolonialen Widerstand. Seine Wände isolieren, fangen und eignen sich die Stimmen derjenigen an, die sich gegen es ausgesprochen haben, woraufhin diese Aneignung zur Auseinandersetzung mit Kolonialismus gemünzt wird. Das Haus repräsentiert, wie Steinmeier feststellt, eine gewisse Verortung der deutschen Nation, aber auch einer kolonialen Nostalgie. Wenn er erklärt, dass in diesem Nabel Berlins, ja der Welt, „die Weltkulturen angekommen sind“, lautet die Frage, die ich ihm gern stellen würde: „Wie sind sie angekommen?“ und „Was machen sie hier in Berlin?“ Natürlich gibt es Würdigungen, man verneigt sich vor dem Vorreiter dieses kolonialen Projekts, Alexander von Humboldt, für seine Beiträge zur damals „unbekannten“ Welt. Mit diesem unreflektierten Lob der Kolonisierung bestätigt er Hegels Vermutung, dass die beiden amerikanischen Kontinente, wie auch Afrika, bis zum Kontakt mit Europa keine Geschichte hatten. Wenn er also sagt, dass die Weltkulturen angekommen sind, ist dies sowohl im lokalen Sinne als auch im Sinne einer eurozentrischen Geschichtsdarstellung zu verstehen. (Unbekannt für wen? Hier ist eine „koloniale Wissenslogik“ am Werk: Zu wissen ist für nicht Akt der Bewusstwerdung durch Beobachtung, sondern ein Akt, der Enteignung und Macht beinhaltet. Die Kolonisator*innen können nicht wissen, was sie nicht besitzen und unter Kontrolle haben, denn für sie bedeutet zu wissen, die Größe zu messen. Zu wissen bedeutet, alles zu regeln, zu konservieren und dass alles immer gleich bleibt. Zu wissen bedeutet, etwas dauerhaft zu machen, es seiner Fähigkeit zu berauben, zu leben, sich zu wandeln und zu wachsen.)

Hier können wir also das Lob der Enteignung von wertvollen physischen und geistigen Subjekten erkennen. Aber darüber hinaus gibt es noch eine andere Form der Enteignung. Selbst wenn das Humboldt Forum als ein Ort der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus präsentiert wird, “il demeure colonisant”, bleibt es der Agent des Kolonialismus. Selbst wenn es als Kulisse für die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Dekolonisierung präsentiert wird – das Wort Dekolonisierung kommt, wenig überraschend, im Call for Papers nur einmal vor, und wir sollten darauf achten, wie oft es in nachfolgenden Calls auftaucht, um nachzuvollziehen, wie (und sogar ob) Kritik absorbiert wird –, die Repräsentant*innen des Forums sind noch immer Kolonisator*innen.

Dieser Versuch, das Humboldt Forum als Zentrum für irgendetwas anderes als koloniale Nostalgie zu positionieren, bedeutet, die Dekolonisierung auf eine bloße Auseinandersetzung mit Kolonialismus zu reduzieren, eine Metapher, die Kolonisierung der Idee und Umsetzung von Dekolonisierung. Es handelt sich hierbei nur um den Versuch, diese ach so revolutionäre Auseinandersetzung in eine Sprachfigur zu verwandeln, um die bereits schal gewordene Kolonialliteratur aufzupeppen, mit der wir inzwischen nur allzu vertraut sind. Es strukturiert auch das Gespräch über Dekolonisierung, regelt den Zugang und produziert ein Vakuum, in dem Dekolonisierung und revolutionäre Ideen zum Erliegen kommen. Es versucht den Widerstand zu befrieden, während es tagtäglich, in böser Absicht und gnadenlos gegen Profit „Kulturbomben“ zündet und sowohl aus epistemischer als auch körperlicher Gewalt Nutzen zieht. … Und ich mache ja mit … immerhin habe ich das Kommunistische Manifest auf Amazon gekauft.

Ich hoffe, dass ich einige lose Fäden hinterlassen habe, an die man anknüpfen kann, und dass wir weiter im Gespräch bleiben, nicht mit der Aussicht auf einen Konsens, sondern weil diese Gespräche, so unbequem sie auch sein mögen, notwendig sind. Hoffentlich – denn in der Tat kann auch ich hoffnungsvoll sein – wird das Humboldt Forum abgerissen, so dass wir letztendlich dem Aufruf von Patricia Hill Collins folgen: „Pivot the center“ – das Zentrum muss umgewälzt werden.

 

[1] Ich schreibe hier über Hegel in der Vergangenheitsform, um die Schwäche des Publizierens hervorzuheben, die Grausamkeit dieser Philosophie der Beständigkeit. Möglicherweise hätte er seine Meinung inzwischen geändert, aber der Hegel, den ich kennengelernt habe, ist nun mal der aus den Büchern.

[2] Siehe Alexander Crampton und Lotte Arndt. Crampton zeigt am bezeichnenden Beispiel der Zuni-Kriegsgötter, wie Museen diese Objekte mit giftigen Chemikalien behandeln und so erschwert wird, dass sie nach der Rückgabe wieder in ihren kulturellen Kontext zurückkehren. Man konserviert sie dauerhaft. Hier wird also das grundlegende Konzept von Bewahrung oder Nachhaltigkeit in Frage gestellt: Bedeutet es die Fähigkeit, dass etwas sich im Laufe der Zeit nicht verändert, oder die Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit dem jeweiligen Kontext anzupassen? Dieser Frage geht Lotte Arndt in ihrer Arbeit nach, indem sie Repräsentation und „Leben“ dieser Objekte nach ihrer Rückgabe in den Blick nimmt.

[3] Einer der großen Philosophen unserer Zeit, der mich sehr inspiriert, Slavoj Žižek, bietet eine interessante, aber recht pessimistische Betrachtung der Subversivität. Wenn man sich jedoch mit Žižek auseinandergesetzt, lernt man, in der Hoffnungslosigkeit Mut zu finden. Seiner Meinung nach ist es nicht mehr subversiv, sich über die Macht lustig zu machen. Systeme wie dieses machen sich über sich selbst lustig. Sie machen sich zum Gespött und verlieren dadurch nicht an Effizienz, sondern profitieren davon. Während das Humboldt Forum also in vielerlei Hinsicht zur Kritik einlädt, wie wir an der Einladung Chimamanda Ngozi Adichies zur Eröffnung gesehen haben, die übrigens eine großartige Rede gehalten hat, verlieren diese Kritiken (während Adichies Rede machten sich Demonstrierende draußen in Tüten gekleidet und singend über das Forum lustig und entlockten Monika Grütters und Steinmeier damit sogar ein Schmunzeln) ihre Relevanz, wie Satiriker.

[4] Siehe Sarr, F., & Savoy, B. (2018). The Restitution of African Cultural Heritage: Toward a New Relational Ethics, trans. Drew S. Burk. Paris: Ministère de la culture.

[5] https://www.instagram.com/tv/CV-2gYDolmx/?utm_medium=copy_link

[6] Ein interessanter Punkt, wie ich finde: religiöser Kosmopolitismus, der sich gegenwärtig durch Restitution manifestiert. Uns dämmert inzwischen, dass afrikanische Gottheiten in der Tat ebenfalls Götter und Göttinnen sind. Wie der Titel von Žižeks jüngstem Buch andeutet, ist der Himmel durcheinandergeraten [Heaven in Disorder, Anm. d. Ü.]. Dieses Chaos ist der Grund, weswegen das Humboldt Forum (wo alle afrikanischen Gottheiten gestorben und auferstanden sind,) sich jetzt mit sich selbst auseinandersetzt. Soll der Himmel jetzt ein paar Gottheiten runterschicken und die Integrität Gottes als eines bärtigen, weißen Mannes infrage stellen oder seinen Zorn riskieren, oder den Zorn seiner Gläubigen riskieren? Der europäische Kolonialkult ist jetzt in Schwierigkeiten und schlimme Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen, selbst wenn dies bedeutet, dass man Gottheiten akzeptiert, die man bisher abgelehnt hat. Restitution ist das wahre Schlachtfeld der Götter, wo Sterbliche Gottheiten vor anderen Gottheiten und Gottheiten die Sterblichen vor anderen Sterblichen retten.

Autor*in
Wan wo Layir

Wan wo Layir [von Lam'nso, "das Kind ohne Namen"] ist ein*e selbstverordnete*r schwere*r Drapetomanie-„Patient*in“. Er*sie interessiert sich für dekoloniale Zukünfte, die er*sie als eine unendliche (Nach-)Folge von Gegenwarten versteht. Er*sie ist akademische*r Nomad*in mit einem Hintergrund in Soziologie, internationalen Beziehungen und Sozialer Arbeit. Seine*ihre Forschungsinteressen umfassen dekoloniales Denken, Subalterne Studien, Black Empowerment und kritische Museumsstudien. Er*sie teilt seine*ihre Arbeiten/Schriften auf dem Blog randomramblings. https://www.randomramblings.eu/