Dieser Artikel ist Teil des Features „Was soll das? Das Kreuz auf dem Humboldt Forum

Wider den Primat der Dauerhaftigkeit

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Es fällt mir alles andere als leicht, als Kunst- und Architekturhistorikerin ein Statement anlässlich der baldigen Vollendung der kreuzbekrönten Kuppel des Humboldt Forums zu verfassen. Ich bin keine Anhängerin der Teilrekonstruktion des Berliner Stadtschlosses. Aber ich bleibe neugierig auf das, was sich im Humboldt Forum langfristig und infolge lebendiger Diskussionen entwickeln wird. Die aktuelle Aufforderung zur offenen, kontroversen Debatte anlässlich der Kuppelvollendung sehe ich daher als ein gutes Zeichen in diese Richtung. Selbst wenn ein Teil der Bauarbeiten sich langsam dem Ende nähert, sollte die Architektur eine produktive Reibungsfläche bleiben und – das wäre mein Statement – weiterhin selbst als Prozess wahrgenommen werden. So wenig die ästhetische, soziale und politische Wahrnehmung und (Be-)Deutung von Architektur konstant ist, so wenig muss die Teilrekonstruktion des Schlosses als etwas Statisches oder gar Dauerhaftes begriffen werden. Gemeint ist damit kein anything goes, sondern neben dem Bewusstsein für die Veränderbarkeit der Teilrekonstruktion selbst die Frage, ob und wie das Prozesshafte als Bestandteil der (Ideen-)Geschichte des Schlossbaus präsent gehalten wird. Es muss hier nicht wiederholt werden, dass das Berliner Stadtschloss unter Walter Ulbricht gesprengt, Portal IV in das Staatsratsgebäude inkorporiert und die Schlossteilrekonstruktion am Ort des ‚rückgebauten‘ Palastes der Republik in Angriff genommen wurde. Es muss auch nicht wiederholt werden, wieviele Diskussionen nötig waren, um zu entscheiden, welche Bauphasen des Schlosses rekonstruiert werden können und sollen, war das Gebäude bis zum Moment seiner Sprengung doch selbst Resultat zahlreicher An-, Um- und Weiterbauten. Und es muss ebenso wenig wiederholt werden, dass Friedrich Wilhelm IV. als Auftraggeber der Kuppel von der Idee eines christlichen Staates beseelt war und nach 1848 die konstitutionelle Monarchie einführte.

Sicher, Vitruvs antiker Architekturtraktat spricht von firmitas (Stabilität), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Anmut/Schönheit) als höchste Anforderungen an Architektur. Architektur wurde darüber hinaus aber immer wieder auch als etwas Prozesshaftes, und nicht nur als ein einmal vollendetes Werk reflektiert. Das brachte im 15. Jahrhundert besonders anschaulich ein Architekt und Theoretiker wie Antonio Filarete zum Ausdruck, der Architektur mit einem Lebewesen verglich. Sie sterbe, wie die römischen Ruinen, wenn sie nicht mehr ausreichend versorgt werde. Die Analogie zwischen Architektur und Mensch bzw. Lebewesen ist so alt wie das Nachdenken über Architektur selbst und wird noch gegenwärtig von einem Architekten wie dem Pritzker-Preisträger Balkrishna Doshi (*1927) vertreten, der von einem Gebäude als „growing organism“ spricht. Publikationen wie How Buildings Learn. What Happens After They’re Built (1994) bekräftigen die Vorstellung von Architektur als Prozess. Wir mögen diesen durch bestimmte Gesetze, durch gesellschaftliche, denkmalpflegerische etc. Entscheidungen punktuell anhalten, wirklich stoppen aber werden wir ihn nicht. Das in der Debatte im Auge zu behalten, halte ich kultur- und architekturgeschichtlich betrachtet für einen wichtigen Punkt, der mit dem korreliert, was eine zeitgenössische Architektin wie Petra Čeferin über Architektur auch sagt: dass sie ein Denkprozess ist.

Welche Gedanken stellen sich also beim Blick auf die bald vollendete Kuppel mit Kreuz ein, das vor über einem Jahr bereits heftige Debatten ausgelöst hat. Es geht mir unter Einbezug historischer Beschreibungen nur um einige wenige Aspekte, die das Verhältnis zwischen Innen und Außen sowie zwischen Architektur und Stadtraum unter dem Gesichtspunkt der Prozesshaftigkeit berühren. Im 19. Jahrhundert rühmten zahlreiche Reise-, Kunst- und Kulturführer Berlins das Stadtschloss. Sie beschrieben mal mehr, mal weniger begeistert die zur Schlossfreiheit ausgerichtete Fassade mit dem Eosander-Portal, das dem Ehrenbogen des Septimius Severus in Rom nachempfunden ist; einem antiken Monument also, dessen Bildprogramm von Krieg, Sieg und Herrschaft des Kaisers geprägt ist: vom Kriegsgott Mars, den Partherkriegen und der Bekämpfung bürgerkriegsähnlicher Zustände im Inneren. Dementsprechend kündete die Widmungsinschrift des Severusbogens davon, dass der Kaiser „den Staat wiederhergestellt und das Reich des römischen Volkes erweitert“ habe.

Und die Inschrift des Eosanderportals am Berliner Schloss? Sie lautete, wie die Zeitschrift Der Salon 1873 ihren Leser*innen auch in deutscher Übersetzung vermittelte, nicht weniger triumphal: „Das ist das gewaltige Gebäude, welches Friedrich mitten im Kriege gründete, das große Haus baute er kriegführend, des Siegers ist das Werk würdig.“ War das Eosanderportal ideen- und bedeutungsgeschichtlich vermutlich bereits mehr, als eine rein formale Rezeption des römischen Severusbogens, durchlief seine spätere Bekrönung mit der Kuppel sodann einen längeren Prozess. Dieser wurde 1851, also noch während der Bauarbeiten (1845-1853), von Anton Gubitz in der national-liberalen Zeitschrift Die Grenzboten in seiner Bedeutungsverlagerung beschrieben. Eosander habe eigentlich geplant, über dem Portal einen Turm mit korinthischen Säulen und einer Kuppel zu errichten, dessen Modell man noch im Schloß besichtigen könne. „König Friedrich beabsichtigte“, fährt Gubitz fort, „das untere Säulengeschoß [dieses Turms] zur Anlage von Wasserbehältern zu benutzen, damit die Wasserkünste im Lustgarten höher springen könnten, und in dem oberen Säulengeschoß wollte er sein beliebtes Glockenspiel aufgehängt sehen, das […] jetzt in Berlin unter dem Namen der Singuhr bekannt ist.“

Der Autor schilderte einer breiteren Öffentlichkeit somit das ursprünglich mit dem Eosanderportal zusammenhängende Konzept, das dem Planwechsel unter Friedrich Wilhelm IV. und der Errichtung der neuen Kapelle wich: „Unter dem jetzt regierenden Könige wurde der Plan zu dem Kuppelbau wieder aufgenommen, aber mit verändertem Zwecke. Nicht einer Wasserkunst und einem Glockenspiel, sondern dem Gottesdienste sollte er nun bestimmt sein“. Diesem Zweck verliehen am Außenbau das Kreuz und die Kuppel Ausdruck, deren am 15. Oktober 1848, nur wenige Wochen vor dem Auflösen der Nationalversammlung, enthüllte Inschrift in Goldbuchstaben auf blauem Grund nun bald wieder zu lesen sein wird: „Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind.“

Betrachten wir in naher Zukunft das Eosanderportal und die Kuppel, die von einem vergoldeten christlichen Kreuz bekrönt wird, stellt sich die Frage, was von den Ideen-, Planungs- und Rezeptionsgeschichten in die heutige Vermittlung dieser teilrekonstruierten Architektur einfließen wird. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts reflektierte keine Zeitschrift, kein Reiseführer die kreuzbekrönte Kuppel losgelöst von der Tatsache, dass sie Bestandteil der Schlosskapelle ist. Und niemand beschrieb das Eosanderportal ohne Verweis auf dessen doppelte Funktion: Den Zugang zum Schlosshof zu bilden und Treppen zu beherbergen, die in die oberen Geschosse und damit auch zur königlichen Kapelle führten.

Wenn jetzt Kreuz und Kuppel nur als Fast-Repräsentanten einer historischen Vergangenheit betrachtet werden, zerfällt Architektur in ein Innen und ein Außen. Sicher, Größe und Art der Kuppel waren von Beginn an auch städtebaulich motiviert. Aber: Keine Kuppel dieser Art, mit dieser Inschrift, in dieser Größe und mit diesem goldenen Kreuz, ohne das zugehörige Innenleben – die Kapelle. Zeichen und Bezeichnetes fielen in Planung und Bau zusammen. Nicht viele Schlösser haben eine Kuppel und ‚profane‘ Bauten, die im 19. Jahrhundert eine solche schon besaßen (wie das Kapitol in Washington) oder gegen Ende des Jahrhunderts erst erhielten (wie der Prager Burgpalast) verbanden damit andere Ideen und Funktionen.

Es bleiben Leerstellen, wenn wir einerseits über die Architektur des Stadtschlosses, andererseits über das Humboldt Forum, einerseits über die Museumskonzeption, andererseits über ‚Stadtbild‘-Fragen sprechen. Die städtebauliche Dimension wird die zukünftige Wahrnehmung und Wirkung der Teilrekonstruktion entscheidend prägen und zwangsläufig an historische Bilder des Schlosses anschließen. Doch auch ohne diese Querverbindungen wird das goldene Kuppelkreuz des Schloss/Humboldt Forums einen unmittelbaren optischen Zusammenschluss mit seinem Gegenüber evozieren: Mit dem ebenfalls von einem goldenen Kuppelkreuz bekrönten Dom, der ab 1894 anstelle des Vorgängerbaus aus dem 18. Jahrhundert errichtet wurde.

Wie werden zukünftige Passant*innen des Stadtraums solche Zusammenhänge wahrnehmen? Wie werden zukünftige Besucher*innen des Humboldt Forums auf die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt von Architektur vorbereitet, die stets mehr als Hülle, Außenhaut oder Innenraumkonzept ist? Und wie wird der Blick ‚aus dem Fenster‘ des Humboldt Forums auf den Dom kommentiert, dessen Neubauplanung mit dem Zeughaus (heute DHM) und dem Alten Museum zentrales Element des politisch und kulturell konnotierten Forumskonzeptes Wilhelms IV. war?

Meine Hoffnung wäre, dass es dem Humboldt Forum analog wie digital gelingt, ein kritisches Bewusstsein für diese architektonischen und städtebaulichen Ebenen zu schaffen. Und dass damit eine Beziehung zu dem hergestellt wird, was Architektur auch ist: eine raumkörperliche Angelegenheit und ein fortwährender Prozess, der alles andere als unveränderlich ist. Die „DNA“ des teilrekonstruierten Schlosses speist sich aus vielen Ideen und Entscheidungsprozessen, deren Dynamiken gerade aufgrund veränderter politischer Verhältnisse Teil der Arbeit an einem historisch-kritischen Bewusstsein bleiben sollten. Denn der ‚Dialog mit der Welt‘ kann und sollte auch ein Dialog darüber sein, warum und unter welchen Bedingungen so etwas die eine (neue) Mitte geschaffen wird, die sich ihrer machtvollen Symbolik hier wie andernorts, heute wie zu anderen Zeiten, nicht entziehen kann.

Zum Glück gehen Ideen nicht so leicht verloren. Immer noch ist mir ein Wettbewerbsentwurf für die Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses im Gedächtnis, dessen Urheber*innen ich nicht mehr weiß, dem aber eine wunderbare Verfremdung gelang: Das Modell des überkuppelten Schlosses wurde mit einem netzartigen, transparenten und glänzenden Material so raffiniert verhüllt, dass es nah und fern zugleich erschien und Assoziationen an eine Vielzahl von Kuppelbauten weltweit weckte. Hoffentlich bleiben die Alternativentwürfe als Teil der (Ideen-)Geschichte des heutigen Schloss/Humboldt Forums sichtbar – ebenso wie der vermeintlich wiedergefundene Entwurf von „Schinkels Traum“, mit dem Tilmann Buddensieg und Axel Schultes 1996 die Debatte anheizten und das Schloss sprichwörtlich von innen nach außen stülpten und zu einem Stadtforum werden ließen.

Autor*in
Foto von Brigitte Sölch
Brigitte Sölch

Prof. Dr. phil Brigitte Sölch ist Professorin für Architektur- und Designgeschichte/Architekturtheorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.