Berliner Zeitung: Herr Dorgerloh, Sie sind Ost-Berliner. Wie erinnern Sie sich an den Palast der Republik?
Hartmut Dorgerloh: Ich habe von 1982 bis 1987 an der Humboldt-Uni studiert und danach ganz in der Nähe gearbeitet, im Institut für Denkmalpflege in der Brüderstraße. In den Vorlesungspausen konnte man in die Bibliothek gehen, ins Museum oder in den Palast der Republik. Da war es warm, hell, die Telefonzellen funktionierten immer, und es gab einen gut sortierten Presseladen. Die gastronomischen Einrichtungen waren – gemessen am Stipendium – nicht so günstig. Bei meiner Immatrikulation im Großen Saal trug die überwiegende Zahl der Studierenden Blauhemd, nur kleine Grüppchen – von den Theologen, Kunstgeschichtlern und Theaterwissenschaftlern – trugen keins oder ganz verschämt, sodass nur der Kragen rausguckte. Wir waren klar die Minderheit. Der Farbkontrast der blauen Masse in den gelben Stühlen ist mir sehr in Erinnerung. Zu den großen Kulturveranstaltungen bin ich nie gegangen. Was mich interessierte, fand nicht in Mitte und schon gar nicht im Palast der Republik statt. Für klassische Musik hatte ich ein Abo im Konzerthaus, und in der aktuellen Kunst und Musik hat mich mehr interessiert, was sich in der alternativen Szene tat – übrigens auch während der Zwischennutzung in der asbestfreien Palastruine.
Inzwischen sind Sie verantwortlich für die Gestaltung dieses Ortes, und man wartet gespannt auf die Eröffnung. Wann geht es endlich los?
Wir sind auf der Zielgeraden. Wir stimmen mit den verschiedenen Beteiligten gerade die Daten ab. Ein konkreter Termin steht noch nicht, aber wir gehen davon aus, dass die Eröffnung ab September beginnen kann und in drei Etappen stattfinden wird. Zuerst öffnen im Erdgeschoss das Foyer mit dem Veranstaltungsbereich, die Flächen für Sonderausstellungen und die Geschichte des Ortes, der Schlüterhof und die Passage sowie im ersten Obergeschoss die Berlin-Ausstellung und die Flächen der Humboldt-Universität. Mit Beginn der zweiten Etappe werden in den beiden oberen Etagen die ersten Bereiche mit den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst zugänglich. Das wird im zweiten Quartal 2021 sein. Zum Finale, am Jahresende 2021, werden alle Bereiche dieser Sammlungen sowie diverse Wechselausstellungen und damit das ganze Haus zugänglich sein.
Gibt es zum Start ein Bürgerfest?
Ja, uns ist ganz wichtig, dann endlich Besucherinnen und Besucher im Haus begrüßen zu dürfen. Aber man muss klar sagen: Wir sind noch nicht fertig, wenn wir aufmachen. Doch wir wollen das Publikum mitnehmen – es entsteht ja wirklich ein neues Stadtquartier. Allein der Besuch des Schlüterhofs, der Eingangshalle und der Passagen! Im Außenbereich wird es noch für ein bis zwei Jahre Baustellen geben. Der neue U-Bahnhof Museumsinsel soll 2021/22 fertig sein.
Sind im Inneren noch heikle bauliche Probleme aufgetaucht?
In der finalen Phase gibt es bei so großen und komplexen Bauvorhaben immer etwas, wo es noch hakt. Und es gibt insgesamt im Baugewerbe aktuell Kapazitätsprobleme. Es fehlen in vielen Gewerken Fachkräfte, und die brauchen nicht nur wir, sondern auch andere. Aber ich bin weiterhin optimistisch.
Hat sich der Blick auf die ethnologische Sammlung hinsichtlich kolonialer Raubkunst geändert?
Ich finde es gut, dass die Diskussion über die Zukunft ethnologischer Sammlungen, deren Bestände häufig aus kolonialen Kontexten kommen, eine größere Öffentlichkeit erreicht hat. In Fachkreisen wird sie schon länger geführt. Aber es geht darüber hinaus um die Frage, wie wir generell mit dem kolonialen Erbe umgehen, nicht nur in den Museen. Was bedeutet Dekolonialisierung für unsere Gesellschaft insgesamt? Das ist ein großes und wichtiges Thema, auch eine Folge der Globalisierung.
Ist mit Rückgaben von Objekten zu rechnen?
Die Berliner Staatlichen Museen haben in diesem Bereich ihre Provenienzforschung verstärkt, und die Ergebnisse werden zu weiteren Restitutionen führen. Aber es geht um mehr: um Prozesse, die mit allen Beteiligten partnerschaftlich anzugehen sind, zum Beispiel bei gemeinsamen Ausstellungsprojekten oder im Bereich Vermittlung. Wir wollen das Humboldt Forum zu einem Ort machen, an dem diese Prozesse sowie Diskussionen über Restitution oder über die Rolle von Objekten für die kulturelle Identität stattfinden – ein Haus der Vielstimmigkeit. So wird es in den entsprechenden Sammlungspräsentationen Medienstationen geben, die eine große Vielfalt aktueller Positionen aufzeigen, zum Beispiel zu den Benin-Bronzen.
Gibt es ein Objekt, von dem man sich bald verabschieden muss?
Diese Entscheidung liegt bei den Staatlichen Museen und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Eigentümerin der Sammlungen. Und es wird mehr als ein Objekt sein.
Wie wird es rund um das Humboldt Forum aussehen? Gefallen Ihnen Einheitswippe und Badetreppe vor der Haustür?
Das ist eine sehr schöne Idee, weil es mit etwas Wichtigem zusammenhängt: der besseren Wasserqualität der Spree. Und wir wollen, dass sich dort das einheimische und das touristische Publikum mischen. Ich bin auch sehr gespannt, wie die Diskussion über die Gestaltung der anderen Seite der Spree weitergeht – Stichwort Marx-Engels-Forum. Es läuft ein Wettbewerb zur Neugestaltung der Grünanlage, aber ich glaube nicht, dass dies das letzte Wort ist. Es wird sicherlich weitere Diskussionen über die Fläche geben.
… also über Heiliggeist-Viertel, Marienviertel …
Genau.
Bebauung – ja oder nein?
Das hängt von Funktion und Zweck der Stadträume ab. Für mich ist es wichtig, dass es kein rein kommerzieller Ort wird oder nur für Leute, die sich die Gegend finanziell leisten können. Ich halte es für notwendig, über die städtischen Räume zu streiten – im Sinne von etwas miteinander aushandeln, und nach langen Diskussionen demokratisch getroffene Entscheidungen auch zu akzeptieren und damit zu leben. Das betrifft auch die Umgebung des Humboldt-Forums, wozu auch die sogenannte Einheitswippe gehört.
Wird man die populäre Gläserne Blume aus dem Palast der Republik im neuen Haus wiederfinden?
Zur Frage, ob man die zeigen soll, haben die damals Verantwortlichen in unserer Stiftung ganz aufgeschlossen gesagt: „Das wäre doch was, gucken wir mal, ob das geht.“ Es hat sich dann leider herausgestellt, dass eine Präsentation aus funktionalen, technischen und konzeptionellen Gründen nicht möglich ist. Deshalb haben wir vor dreieinhalb Jahren mitgeteilt: Wir haben geprüft, es lässt sich nicht realisieren – zumindest nicht für eine dauerhafte Ausstellung.
Wie wird an den Palast erinnert?
Wir müssen und wollen im Humboldt Forum erklären, warum gegenüber im ehemaligen Staatsratsgebäude, auch noch ein Stück Schloss steckt. Und was es mit dem Palast der Republik auf sich hat. Insofern ist die Erinnerung an die Geschichte des Ortes eine zentrale Aufgabe mit dem Fokus auf das Schloss, den Palast der Republik und das Humboldt Forum selber. Denn in ein paar Jahren wird man erklären müssen, warum dieses so geworden ist, wie es geworden ist und was die Rahmenbedingungen waren. Im Haus wird man überall Spuren aus der Geschichte des Ortes finden. Erinnern kann sich aber nicht auf symbolische Handlungen beschränken, also einfach ein Stück aus jedem Haus auszustellen. Das machen wir auch, aber es geht ebenso um die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. So präsentieren wir auf einer riesigen Medienwand das ganze Spektrum der Geschichte des Ortes, vom Beginn im Mittelalter über das Renaissanceschloss bis zum Bau und Abriss des Palastes der Republik – einschließlich Schlosssprengung, Aufmarschplatz und kultureller Zwischennutzung nach der Schließung 1990.
Zurzeit führen wir Zeitzeugeninterviews, sammeln Daten, bauen ein Archiv und haben vom Bund Hunderte Einrichtungsgegenstände aus dem Palast übernommen. In welcher Weise wir das Material nutzen, hängt auch vom öffentlichen Interesse ab. Der Palast hatte ja verschiedene Facetten – politische und kulturelle.
Aber die Gläserne Blume wäre doch ein zentrales Objekt, um genau den Facettenreichtum zu zeigen …
Ich halte nichts davon zu sagen: Wenn ich Thronsessel und Gläserne Blume ausstelle, ist das Thema erledigt. Es wird immer eine Auseinandersetzung damit brauchen, was an diesem Ort passiert ist, denn es ist der zentrale Ort dieser Stadt. Die Gläserne Blume sollte man auch nicht überbewerten, sie ist zwar ein wichtiges Stück, aber sie steht nicht für den ganzen Palast der Republik. Eine solche Reduzierung widerspräche dessen Komplexität und Bedeutung, der wir gerecht werden müssen. Wir hoffen daher auch, dass Besucherinnen und Besucher uns an ihren Erinnerungen an den Palast teilhaben lassen. Vielleicht hat der eine oder andere noch ein Objekt aus dem Palast. Auch in unserem Veranstaltungsprogramm wird er eine Rolle spielen.
Was wird aus dem Palast der Republik nun zu sehen sein?
Zwölf Objekte, im ganzen Haus gut sichtbare „Spuren“, die besonders präsentiert und erklärt werden. Darunter sind große, bekannte Stücke, zum Beispiel ein Ausschnitt aus Jo Jastrams Bronzerelief „Lob des Kommunismus“, Wolfgang Mattheuers Gemälde „Guten Tag“, beide im zentralen Treppenhaus zu sehen. Oder ein florales Wandrelief aus Meißener Porzellan, das im ehemaligen Palastrestaurant hing. Das wird wieder in einem Restaurant zu sehen sein. Aber auch eine Überwachungsanlage wird ausgestellt. Und es gibt neue, aktuelle Kunst, so von dem Berliner Künstler Tim Tantenroth. Er setzt sich mit der sehr populären, kupferspiegelnden Fassade auseinander und übersetzt diese in ein Wandbild – ein Beispiel dafür, dass sich Künstler bis heute vom Palast der Republik inspirieren lassen. Und wir werden das jüngste Stück aus der Palast-Geschichte ausstellen, vom März 1990, eine gläserne Wahlurne. Die brauchte man erst nach den ersten freien Wahlen. Es ist gut, dass gerade sie ganz prominent zu sehen sein wird.