Interacting
02.05.-11.06.2022
Seit Sommer 2021 forschen Berliner Künstler*innen im Rahmen von Moving the Forum | Das Forum bewegen auf dem Gelände des Humboldt Forums.
Das vierte Kapitel „Interacting“ befasst sich insbesondere mit den Strukturen der Institution und strebt einen Dialog zwischen Institution und der Welt außerhalb des Forums an.
Ab dem 2. Mai beginnen fünf Teams für sechs Wochen ihre künstlerische Auseinandersetzung vor Ort – gemeinsam mit jeweils 10-15 Teilnehmer*innen.
Die Ergebnisse aller fünf künstlerischen Forschungen sind am 11. Juni in verschiedenen Performances erlebbar.
Die Künstler*innen Tamara Rettenmund, Akemi Nagao und Gabriel Galindez Cruz beschreiben ihr Vorhaben wie folgt:
„Wir „besetzen“ das Humboldt Forum mit einer dauerhaften Intervention, die eine Reihe von rituellen Aktionen und Bewegungen zelebriert, bei denen Unterschiede zusammenkommen können.
Die symbolische Sprache der Rituale kann uns helfen, durch unseren einzelnen und kollektiven Körper an einer größeren Welt teilzunehmen, diesen Raum zu heilen und neu zu interpretieren, jenseits dessen, was wir derzeit verstehen.“
FOLGENDE FORSCHUNGSFRAGEN SIND AUSGANG FÜR IHRE ARBEIT
„Wie kann eine Versöhnung mit diesem umstrittenen Ort, der Widerstand hervorruft, erreicht werden?
Wie kann man den unsichtbaren Wesen und Wesenheiten hinter den Museumsstücken eine Stimme geben und ihnen zuhören?
Wie können wir Brücken bauen, die es uns ermöglichen, Multiplikatoren einer Bewegung zu sein, die unsere eigenen Gemeinschaften und darüber hinaus befähigt, sich zu vernetzen?“
Die Künstler*innen von Prusaki Corps haben folgendes vor:
„Aus dem Müll entsteht eine neue Kreatur: ein hartnäckiges Multi-Spezies-Wirrwarr, ein wurmstichiger Haufen, eine wimmelnde bunte Plage, die eine Revolution tanzt. PRUSAKI CORPS ist eine kollektive Identität, die sich auf die Gruppe und auf jedes ihrer Mitglieder bezieht, während diese sich in PRUSAKI CORPS Aktivitäten engagieren.“
KONZEPT
„Wir werden in/mit der Passage arbeiten, die wir als den Verdauungskanal des Gebäudes wahrnehmen, der sich damit beschäftigt, Dinge hinein- und hinauszulassen. Was nützlich und relevant ist, wird verarbeitet und aufgenommen. Was nicht nützlich oder sogar schädlich ist, wird ausgeschieden. Wir wollen einen kritischen Verdauungsprozess in Bezug auf Ideen und „Wissen“ fördern. Wir werden zudem mit der (Verdauungs-)Passage in unserem Körper bzw. mit Mund und Anus an beiden Enden arbeiten, um Bewegung zu erzeugen/generieren und Ausdruck für eine ungeteilte Kopf-Körper-Einheit zu finden. In unserem nicht-hierarchischen Laboratorium wollen wir einen kollektiven Körper entwickeln, der aus der Nebeneinanderstellung und Verbindung von Abweichung, Mutation und Revolte im Gegensatz zu Assimilation und Uniformität entsteht. Unsere Interventionspartitur beruht auf der Mitbestimmung und Initiative aller Teilnehmer:innen.“
RECHERCHEFRAGEN
„Posthumanistische Körper – Wie kann der Körper ein Agens der Rebellion sein (werden)?
Wie ist epistemische Gewalt in westlichen Wissenspraktiken präsent?
Wie lassen sich Unterbrechung und Störung als generative und kreative Werkzeuge nutzen?“
„Die Prusaki wurden in der Kanalisation unter dem Humboldt-Forum geboren – die Kanalisationsgitter sind das Portal in die Überwelt. Der Name Prusaki hat seinen Ursprung im kuriosen Zufall, dass die polnische Sprache dasselbe Wort für Kakerlaken sowie für Preußen verwendet. Die Prusaki organisieren sich in Corps und gehen ihren Geschäften nach wie Kakerlaken und andere Plagegeister. Sie sind künstlerische Autodidakt*innen und unerträgliche Widerspenstige. Ihre Forschungen über die sieben Weltmeere und die sieben Himmel haben sie zu der Erkenntnis geführt, dass es eine einzige große Hölle gibt, die uns alle umfasst: die große Menge an Bullsh*t, die von den Mächtigen aufgetischt wird, um an der Macht zu bleiben. Sie haben unter anderem mit der E-Coli-Broccoli Tanzkompanie, der German Vermin Association, dem Bündnis Komposthaufen und in Kooperation mit einzelnen Künstler*innen wie MC Kack, Violetta Toiletta und Roy de Stroy gearbeitet. Zu ihren aktuellen Aktivitäten gehört die Katalogisierung des riesigen Archivs von Objekten, die die weltweit anerkannte Sammlung Prusaki Kulturbesitz© bilden.“
Ahmed Soura beschreibt sein Vorhaben wie folgt:
„Die Maske, ist ein Objekt, das von Geistern bewohnt wird, ein Körper, aber ohne Seele. Die Maske ist unsterblich und dies ist der wahre Wert der Identität eines jeden Volkes. Dies ist der Moment der Freiheit, in dem man die Kontrolle über das Gedächtnis des Körpers behält und die Grenzen überschreitet, um das kollektive Gedächtnis zu überraschen.“
KONZEPT
„Die Maske ist ein von Geistern bewohntes Objekt, ein Körper, aber ohne Seele. Die Maske ist unsterblich und dies ist der wahre Wert der Identität eines jeden Volkes. Eine Maske, die ihren Kopf verliert, verliert ihre Identität und damit auch die Identität der Völker. „Decolonization and memory of the living masks” ist eine Reise der Identität von fremden Körpern. Es ist die Begegnung mit Licht, Schatten und Modernit.
Es ist auch der Moment, in dem man in seiner Vorstellung Platz für andere macht, seine Hand (seinen Körper) ohne Berührungen einsetzt, zur Erschaffung starker Bilder im Raum, um den Gesten der anderen einen Rückhalt zu geben. Es wird ein Spiel der Angst vor der totalen Freiheit geben, um Spannung in der Gruppe und im Raum zu erzeugen.
Niemand wird alleine tanzen, denn es wird immer Unterstützung durch die Gruppe geben. Die Geschwindigkeit im Raum wird präsent sein, um die Dringlichkeit positiver Veränderungen auszudrücken. Wir enden mit der Ruhe des Geistes in den Masken und Formen des Körpers im Raum.“
FORSCHUNGSFRAGEN
„Welche Maske im Humbolt Forum für welchen Körper?
Was ist mit der Konfrontationsmaske, dem Schatten eines Menschen und dem Ort des Lichts im Raum?
Was für einen Geist können wir in einer ruckartigen Bewegung, in einem Freez oder in einer Unnatur beobachten?“
Eine kollektive Identität namens PRUSAKI CORPS wird in der Passage des Humboldt Forums arbeiten, die sie als den Verdauungstrakt des Gebäudes versteht, der Dinge hinein- und hinauslässt. Gleichsam werden die Prusaki die (Verdauungs-) Passage in ihren Körpern bzw. Mund und Anus an beiden Enden nutzen, um Bewegung zu generieren. Dergestalt setzt die persistente parasitäre Spezies PRUSAKI CORPS einen kritischen Verdauungsprozess in Gang, der patriarchale, imperiale und hegemoniale Machtstrukturen in Frage stellt. Was schädlich oder gar toxisch ist, wird ausgeschieden. Eine Bewegung und tanzende Rebellion, die die Macht lächerlich macht! Die Arbeitsergebnisse der nicht-hierarchischen rebellischen Plage werden in sog. „tentakulären Interruptionen“ in der Passage präsentiert.
Sebastian Blasius und Felix Dompreh beschreiben ihr Vorhaben wie folgt:
„Choreographische, installative und soundbezogene Elemente umkreisen das Verhältnis von (Selbst)Repräsentation und Abfall, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und rekurrieren auf die Geschichte des Berliner Stadtschlosses, in der das Motiv des Flutens mehrfach virulent ist.“
Nora Amin, Adham El-Said und Michiyasu Furutani beschreiben ihr Projekt so:
„Einladung an die Menschen zu einem offenen und direkten Kommunikationsraum zur Selbstbefreiung, zur Wiederherstellung der Zusammengehörigkeit und zur kollektiven Kultivierung eines neuen Geistes des Raumes entlang der physischen und stimmlichen Aktionen.“
DIE MENSCHEN AN EINEN SICHEREN ORT EINLADEN
„Inmitten des pandemischen Aufruhrs und des Aufstiegs der Spitzentechnologie entfernt und fragmentiert sich unsere Kommunikation, ohne dass sich unsere physische Existenz im selben Raum und in derselben Zeit befindet. Diese unkörperliche Kommunikation mit einer Flut von Informationen destabilisiert die Glaubwürdigkeit der Realität mehr denn je. Auch oder gerade im Zusammenhang mit der Schaffung eines neuen Raumes, der ein kontroverses Thema ist, ist eine gewisse Greifbarkeit erforderlich, um eine respektvolle Kommunikation für den weiteren Dialog zu finden. Wir müssen einen offenen, gleichberechtigten und direkten Dialograum haben, kurz gesagt, einen sicheren Ort, an dem wir uns gegenseitig zuhören können. Wo und wie sieht dann ein sicherer Raum für die Kommunikation mit anderen aus? Wie können wir die Greifbarkeit nutzen, um Menschen in diesen sicheren Raum einzuladen? Wie hören wir auf Stimmen, die nicht laut sind? Wie verwischen wir die Grenze zwischen den Eingeladenen und den Gastgebern? Wie können wir uns mit allen Menschen gemeinsam bewegen?“
SAMMLERTUM
„Das Sammeln ist neben dem Bewahren, Ordnen, Erforschen und Ausstellen der Artefakte eine der Aufgaben des heutigen Museums. Diese Methodik des Sammelns, gepaart mit verschiedenen Autoritäten wie der Politik, hat einen besonderen Einfluss auf die Sammlung selbst gehabt, auch wenn sich die Zeiten geändert haben, und hat einen spezifischen Charakter mit dem historischen Hintergrund gegeben. Die koloniale Vergangenheit ist ein typisches Beispiel. Das Sammeln ist auch stark mit wirtschaftlichen Aktivitäten verbunden, da das Sammeln grundsätzlich Gewinne abwirft. Betrachtet man die Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung, so wird deutlich, dass die obsessive Begierde mit der Macht des Sammelns verbunden ist. Im 21. Jahrhundert kennen Gier und Aneignung kein Halten mehr und fangen an, sogar unser Fundament, die Erde, aufzufressen. Das Sammeln hat jetzt eine sichtbarere Form als der Kapitalismus und dringt nicht nur in wirtschaftliche, kulturelle und politische Fragen ein, sondern auch in unsere Umwelt. Der Klimawandel als offensichtliches Phänomen menschlichen Handelns ist ein wichtiges und dringendes Thema, das auf eine Änderung des derzeitigen Systems weltweit drängt. Wie werden wir uns der Kolonisierung und des Klimawandels durch das Konzept der Sammlung bewusst, das unsere „sammelbaren“ Körper einsetzt?“
RITUAL
„Das Ritual kann dann ein kollektiver Akt der Dekolonisierung unseres Wissens, unserer Beziehungen und unserer Bewegungsdynamik sein. Es kann unseren Bezug zu kollektiven Bewegungen, zu Maschinerie und Ordnung wieder aufgreifen und sie in einen authentischen, einfachen Modus und ein Muster verwandeln, bei dem die Teilnehmer der Gemeinschaft gleichberechtigte Partner und gleichberechtigte Eigentümer des Raums sind. Wir können auf ein bestimmtes Miteinander abzielen, das durch die körperlichen und stimmlichen Aktionen des Rituals freigesetzt und gefördert wird. Dieses Miteinander wird hoffentlich seine Spuren im Raum und im Wesen jeder Person hinterlassen, die zum Ritual beigetragen hat. Es könnte ein Ritual der Selbstbefreiung sein, das die Zusammengehörigkeit wiederherstellt und einen neuen Geist des Raumes gebiert. Es könnte ein Ritual des Exorzismus und der Geburt sein, ein Ritual der Evakuierung und des Lebens…“
FORSCHUNGSFRAGEN
„Wo und wie wird der Raum beschaffen sein, um mit anderen zu kommunizieren?
Wie können wir die Greifbarkeit nutzen, um Menschen in den Raum einzuladen?
Wie hören wir auf Stimmen, die nicht laut sind?
Wie verwischen wir die Grenze zwischen den Eingeladenen und dem Gastgeber?
Wie werden wir uns gemeinsam mit allen Menschen bewegen?
Wie werden wir uns des Klimawandels durch das Konzept der Sammlung bewusst, indem wir unsere „sammelbaren“ Körper einsetzen?“